Otto Mueller
Sitzender weiblicher Akt
ca. 1925
coloured crayon on vellum
65.6 × 47 cm / 25 13/16 × 18 1/2 in
Signed
Cataloque Raisonné by Pirsig-Marshall/von Lüttichau 2020 no. 1925/39
Collection Max Fischer, Stuttgart (until 1954); Stuttgarter Kunstkabinett, 20 May 1954; Collection Ilse & Hermann Bode, Hanover/Steinhude (1954 acquired from the above); Private Collection Germany (by inheritance)
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Herbst 2021", Düsseldorf 2021
- Städtische Galerie im Lenbachhaus/Württembergischer Kunstverein, "Die Pelikan-Kunstsammlung. Aus dem Besitz des Hauses Günther Wagner, Hannover, Pelikan-Werke und der Familie Beindorff", München 8. Januar - 7. Februar 1965/Stuttgart 13. März - 2. Mai 1965
- Kunstverein Hannover, "Die Pelikan-Kunstsammlung. Aus dem Besitz des Hauses Günther Wagner, Hannover, Pelikan-Werke und der Familie Beindorff", Hannover 28. April - 16. Juni 1963
- Städtisches Kunstmuseum, "Otto Mueller: Gemälde, Handzeichnungen und Aquarelle, Druckgraphik", Duisburg 26. Januar - 24. Februar 1957
- Karl Ernst Osthaus Museum, "Otto Mueller: Gemälde, Handzeichnungen und Aquarelle, Druckgraphik", Hagen 3. Dezember 1956 - 13. Januar 1957
- Kunsthalle Bremen, "Otto Mueller: Gemälde, Handzeichnungen und Aquarelle, Druckgraphik", Bremen 1956
- Kunstverein Hamburg/Frankfurter Kunstverein, "Meister der Zeichnung in der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts", Hamburg, 2. September - 15. Oktober 1967/Frankfurt a. M., 27. Oktober - 10. Dezember 1967
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Herbst 2021", Düsseldorf 2021, S. 96
- Tanja Pirsig-Marshall/Mario-Andreas von Lüttichau, "Otto Mueller: Catalogue Raisonné. Bd. II: Zeichnungen und Aquarelle/Drawings and Watercolours", Leipzig 2020, Nr. 1925/39
- Johann Georg Prinz von Hohenzollern/Mario-Andreas von Lüttichau, "Otto Mueller – Eine Retrospektive – Werkverzeichnis", München 2003, Nr. 505
- Kunstverein Hamburg (Hg.), "Meister der Zeichnung in der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts", Ausst.-Kat. Hamburg 1967, Nr. 173
- Wenzel Nachbaur, "Otto Mueller Werklisten, Archiv Roman Norbert Ketterer", Kirchner Museum, Davos 1950er Jahre, Abb.
Otto Mueller beginnt seine künstlerische Karriere mit einer Lithografenlehre in Görlitz und Breslau, um anschließend ab 1896 an der Kunstakademie in Dresden zu studieren. Nach einem kurzen Aufenthalt an der Münchener Kunstakademie zieht Mueller 1908 mit seiner Frau Maria »Maschka« Meyerhöfer nach Berlin, um sich dort künstlerisch neu zu orientieren. Hier tritt er der bereits existierenden Künstlergruppe »Die Brücke« bei, der auch Heckel, Kirchner und Pechstein angehören. Wie bei seinen Künstlerfreunden spielt auch bei Mueller die Zeichnung eine bedeutende Rolle, ist sie es doch mittels derer das Erlebte ganz unmittelbar eingefangen und festgehalten werden kann. Sein bevorzugtes Motiv ist der weibliche Akt in der Landschaft. Dass eine persönliche Beziehung zum Modell dem Künstler wichtig ist, lässt sich daraus folgern, dass er fast ausschließlich seine Geliebten Irene Altmann und Elfriede Timm und später seine beiden Ehefrauen Maschka und Elsbeth portraitiert.
Die vorliegende charakteristische Kreidezeichnung von 1925 zeigt seine zweite Ehefrau Elsbeth Lübke, die er 1922 heiratete. Im Hochformat angelegt ist eine Sitzende, unbekleidete Frau fast bildfüllend dargestellt. Ungewöhnlich ist der Verzicht auf die Ausformulierung des Hintergrunds, der hier lediglich durch einige schnelle Schraffuren angedeutet bleibt und nicht wie sonst üblich auch Landschaft und Vegetation abbildet. In diesem Fall liegt Muellers Konzentration ganz auf der Darstellung des Akts. Die Binnenzeichnung umreißt den Körper mit präzisem Strich. Die Dargestellte hat die Beine angezogen und zur Seite geneigt, so dass die Scham verdeckt bleibt. Der Oberkörper wirkt grazil und die schmalen Arme und knochigen Schultern, die dem Betrachter in leichter Drehung direkt zugewandt sind, sind typisch für die Figuren von Otto Mueller, die stets schmal und langgliedrig sind. Charakteristisch ist auch der dunkle Bubikopf der Nackten, der das Gesicht einrahmt. Durch die Rahmenzeichnung entsteht der Eindruck eines Gemäldes – sie betont die Bedeutung dieser Zeichnung, die für Mueller dem Gemälde in nichts nachsteht. Leichte farbliche Akzente beleben die Darstellung, die in dunklem Blau gezeichnete Figur wird mittels hellgrüner und hellgelber Partien koloriert. Die hier gezeigte Kreidezeichnung ist absolut typisch für das Werk Otto Muellers, der sich Zeit seines Lebens ganz im Gegensatz zu seinen Künstlerkollegen nicht auf Darstellungen des alltäglichen Lebens, auf die Großstadt oder auf sozialkritische Themen verlegt, sondern vor allem für seine Aktdarstellungen bekannt ist. Der Kunsthistoriker Mario-Andreas von Lüttichau beschreibt es treffend: »Seine künstlerische Motivation liegt weniger in der Beschreibung oder der Kritik von Zuständen als vielmehr in der Suche nach dem Selbst, nach dem Menschlichen und ganz zentral in der Suche nach dem Wesen von Mann und Frau.«1 Wir sehen hier ein meisterhaftes Beispiel von Muellers einfühlsamer Zeichenkunst. Durch die Konzentration auf das Modell rückt er die vollkommene Schönheit des jungen Körpers der Dargestellten in den Mittelpunkt, er zeigt sie ganz bei sich, im Einklang mit sich selbst. Der gekonnte, rasche Umgang mit der Pastellkreide unterstreicht Muellers besondere Fähigkeit, noch vor Ort sehr eindrucksvolle Ergebnisse mit starker Ausdruckskraft festzuhalten.
1 Mario-Andreas von Lüttichau, »Von Liebespaaren, Doppelportraits und anderen Figurenbildern - Otto Muellers Bilderwelt«, in: Johann Georg Prinz von Hohenzollern/Mario-Andreas von Lüttichau, »Otto Mueller – Eine Retrospektive – Werkverzeichnis«, München 2003, S. 67.