Alexander Kanoldt
Stillleben V
1921
Öl auf Leinwand
38 × 25 cm
Signiert und datiert sowie auf dem Keilrahmen "A. K. 1101" und "Frowein" beschriftet
Werkverzeichnis Koch 2018 Nr. WV 21.13; Werkliste 1921, Nr. 45
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Sammlung Frowein, Wuppertal-Barmen/Südafrika/Kanada; Privatsammlung Ontario, Kanada (durch Erbschaft)
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Frühjahr 2024", Düsseldorf 2024
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Frühjahr 2024", Düsseldorf 2024, S. 56
- Michael Koch, "Alexander Kanoldt 1881-1939. Werkverzeichnis der Gemälde", München 2018, Nr. WV 21.13
- Elke Fegert, "Alexander Kanoldt und das Stillleben der Neuen Sachlichkeit", Hamburg 2008, S. 166 + 292f., Abb. 41
- Kristina Heide, "Form und Ikonographie des Stillebens in der Malerei der Neuen Sachlichkeit", Weimar 1998, Abb. 310
Alexander Kanoldt – Visionär der neuen Sachlichkeit
Gloria Köpnick
Alexander Kanoldt (1881–1939) zählt zu den bedeutendsten Vertretern der Kunst der Neuen Sachlichkeit. Die künstlerischen Anfänge Kanoldts, der aus einer Künstlerfamilie stammte, führen in dessen Geburtsstadt Karlsruhe, wo er ein Studium an der Kunstakademie absolvierte. Auf der Suche nach einem eigenen Stil fand er besonders im Kreis von Wassily Kandinsky, Gabriele Münter, Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin Inspiration: Sein Werk entwickelte sich in diesen Jahren vom bewegten Pinselduktus des Postimpressionismus zu einer die Formen zu Farbflächen zusammenfassenden Malweise. Doch während die Werke dieser Zeit noch von einer Art ›Gruppenstil‹ und dem engen Austausch zwischen den Künstlerinnen und Künstlern der 1909 gegründeten »Neuen Künstlervereinigung München« zeugten, löste sich Kanoldt – wie auch die anderen Mitglieder der Münchner Vereinigung – in den kommenden Jahren und entwickelte bald seinen eigenen charakteristischen Stil.
1911 unternahm Kanoldt – in Begleitung seines langjährigen Malerfreundes Adolf Erbslöh – eine ausgedehnte Reise in den Süden, die ihn in das etwa 30 Kilometer nördlich von Bozen gelegene Städtchen Klausen in Südtirol führte: Die Stadt und die umgebende, hügelige Landschaft des malerischen Eisacktals boten mit der Burg Branzoll, der Benediktinerabtei Säben und der das Stadtbild dominierenden Pfarrkirche St. Andreas zahlreiche Bildanlässe. Bereits Dürer hatte sich von der Lage Klausens für seinen Kupferstich »Nemesis« anregen lassen.
In dem Südtiroler Städtchen nahm Kanoldt 1911 – wie auch während der folgenden Aufenthalte der Jahre 1912, 1914 und 1920 – teils für mehrere Monate Quartier im bis heute existierenden Hotel Walther von der Vogelweide. 1) Im Sommer 1914 – noch bevor Kanoldt wie viele seiner Malerkollegen in den Ersten Weltkrieg ziehen sollte – malte er u.a. die kubistisch gegliederte Ansicht der »Stadt« (Abb. 1). Bereits im Jahr darauf wurde das Gemälde von Fritz Wichert für die Sammlung der Kunsthalle Mannheim erworben.
Nach Kriegsende zog es Kanoldt 1920 erneut nach Klausen und es entstanden weitere Stadtansichten: In »Stadt im Tal III« sind die Bäume im Vordergrund – im Gegensatz zur Fassung von 1914 – ein Stück höher gewachsen und der Blick auf das horizontlose Häusermeer erscheint geweitet, so dass nun am linken Bildrand auch der Kirchturm von St. Andreas erkennbarer wird. Während die Mannheimer Fassung des Motivs formal noch den Kubismus der 1910er Jahre spiegelt, hat sich in unserem Gemälde die Gestaltungsweise dem Stil der beginnenden Neuen Sachlichkeit angepasst: Kanoldt ›versachlicht‹ die in zurückgenommener Farbigkeit verfasste Ansicht, ohne sie kubistisch zu vereinfachen. Denn er selbst distanzierte sich vom Kubismus. In einem Brief an den Kunsthistoriker Josef August Beringer berichtete er:
»Wie ich nun mitunter zu ›kubischen‹ Formen komme, ist sehr leicht erklärlich: Meine Anregung bekomme ich meistens durch irgendwelche Bauwerke – wie andere durch figürliche Visionen – Stillleben etc. Nun haben Bauwerke selbstverständlich kubische Formen und zwingen mich zur Anwendung solcher und ähnlicher – um nun eine Bildeinheit zu erreichen – da mich z.B. Häuser durchaus nicht als solche malerisch interessieren, sondern dieselben für mich lediglich als Compositions-Element in Betracht kommen, so muß ich notgedrungen nach einer Form für die Umgebung der starren Häusermassen suchen, welche sich der Physiognomie derselben anpasst. Würde ich z.B. Köpfe malen, so käme es mir nie in den Sinn, dieselben Kuben zu zerlegen, wie das z.B. Picasso und Le Fauconnier machen – das erschiene mir wie Manieriertheit, und der kubischen Form würde jede Innerlichkeit zum Opfer gebracht.« 2)
Bereits fünf Jahre vor der von Gustav Friedrich Hartlaub, dem Nachfolger Wicherts, in Mannheim konzipierten Jahrhundertschau »Neue Sachlichkeit«, manifestierte sich in dem Gemälde »Stadt im Tal III« der Stil einer neuen Epoche. Alexander Kanoldt sollte zu einem ihrer Hauptvertreter werden. Vermutlich wurde unser Gemälde bereits anlässlich der Einzelausstellung Alexander Kanoldts im Februar 1921 im legendären Jenaer Kunstverein gezeigt, wo der Künstler bereits in früheren Jahren ausgestellt hatte.
Ein weiteres Thema griff Kanoldt, der nach seiner Rückkehr aus dem Krieg »wie ein Berserker« 3) schuf, auf: Das Stillleben wurde zu einem Hauptgenre des Künstlers.
»1919 habe ich eigentlich neu angefangen oder auch, ich habe da eingesetzt, wo ich hätte stehen müssen, wenn ich all die Jahre bei der Arbeit geblieben wäre«, schrieb er an den Kunsthistoriker Franz Roh, und weiter: »die endliche Ruhe nach einem fast fünfjährigen Abenteurerleben fesselten mich ans Atelier, wo ich ganz natürlich auf die Auseinandersetzung mit dem von mir vorher wenig beachteten Stilleben verfiel, eine Aufgabe, die sich mir von Tag zu Tag reizvoller gestaltet und mit welcher ich mich noch lange nicht fertig sehe.« 4)
Für unser Stillleben in gedeckter Farbigkeit arrangierte Kanoldt drei, etwas versetzt aufeinander liegende Bücher, zwei Pfeifen (Kanoldt war Raucher) und einen roten Bilderrahmen, der sich – wie die Pfeifen – auch auf anderen Arbeiten dieser Jahre wiederfindet, auf einer dunklen Kommode. Der Künstler zeigte das Ensemble in enggefasstem Bildausschnitt und mit einer leichten Draufsicht. Der Kunstkritiker Wilhelm Michel fasste die Entwicklung Kanoldts 1923 anlässlich der Ausstellung seiner jüngsten Werke zusammen, indem er erneut auf den Kubismus als Inspiration verwies, den Kanoldt zugunsten der Neuen Sachlichkeit überwunden hatte: »Seine Stilleben haben eine strenge, düstere Sachlichkeit, eine scharfe Bestimmtheit [...]. Es ist [...] ein überscharfes Sichten der Gegenstände, ein Spähen wie mit bewaffnetem Auge, ein bewußtes Organisieren, das seine Herkunft aus der kubistischen Richtung nicht verleugnet.« 5)
1 Vgl. Michael Koch: Alexander Kanoldt. 1881–1939. Werkverzeichnis der Gemälde, München 2018, S. 24f.
2 Alexander Kanoldt an Joseph August Beringer, zit. nach: Koch 2018, S. 25.
3 Johanna Kanoldt an Hugo Troendle, Brief v. 26. Juli 1919, zit. nach: Koch 2018, S. 31.
4 Alexander Kanoldt an Franz Roh, Brief v. 17. Februar 1925, zit. nach: Koch 2018, S. 25.
5 Wilhelm Michel: Ausstellung »Deutsche Kunst 1923« Darmstadt, in: Deutsche Kunst und Dekoration, 52. Jg. (1923), Juli-Heft, S. 176–179.