Gerhard Richter
Ohne Titel (6.4.91)
1991
Öl auf Fotografie auf Karton
21 × 29,1 cm
Signiert und "6.4.91" datiert
Das Foto zeigt die Antwerpener Straße in Köln
Atelier des Künstlers; Anthony d'Offay Gallery, London; Privatsammlung Basel
- Galerie Ludorff, "Nach der Natur", Düsseldorf 2017
- Galerie Ludorff, "Gerhard Richter. Abstrakte Bilder", Düsseldorf 2013
- Galerie Ludorff, "Nach der Natur", Düsseldorf 2017, S. 65
Nach seinem Weggang aus Dresden im Jahr 1961 lebt Gerhard Richter in Düsseldorf, wo er an der Kunstakademie studiert und später als Professor eine Malklasse leitet. Im Jahr 1983 zieht er zusammen mit seiner zweiten Frau, der Künstlerin Isa Genzken nach Köln, wo ihm sein damaliger Kölner Galerist Rudolf Zwirner ein großes Studio in einer alten Fabrik vermittelt hatte. Als Richter mit dem Übermalen der ersten Fotografien beginnt, hat seine Karriere bereits einen ersten Höhepunkt erreicht. 1986 richtet ihm die Kunsthalle Düsseldorf eine große Retrospektive aus, die anschließend in Berlin, Bern und Wien gezeigt wird. Die Kritik ist begeistert von der Schau und auch auf dem Kunstmarkt kann Richter bereits guten Erfolg verbuchen.
Das vorliegende, übermalte Foto „Ohne Titel (6.4.91)“ zeigt die Antwerpener Straße im Belgischen Viertel, das sich in direkter Nähe zu Richters neuem Atelier in der Kölner Innenstadt befindet. Der eher gedeckten, tonigen Ansicht des Farbfotos setzt Richter Spuren leuchtend roter Farbe entgegen und lenkt den Blick des Betrachters so auf das im Fluchtpunkt der Darstellung befindliche Wahrzeichen der Stadt – den Kölner Dom. Das unserem Werk zugrundeliegende Foto wurde wie sämtliche weiteren übermalten Fotos von Richter selbst aufgenommen. Wann es entstanden ist, lässt sich nicht nachvollziehen, da Richter seine Fotografien in der Regel sammelt und eher zufällig, häufig erst mehrere Jahre später übermalt. Ein typisches Charakteristikum früher übermalter Fotografien ist die Montierung des Fotos auf einem weißen DIN -A4-Karton1), bevor mit der Übermalung begonnen wird. Auf diese Weise erstreckt sich die Übermalung wie bei dem vorliegenden Werk über den gesamten Unterlagekarton und nicht nur – wie bei späteren übermalten Fotos – auf die eigentliche Fotografie.
Neben der fotorealistischen Malerei, die Richter seit den frühen 1960er Jahren pflegt und der in den 1980er Jahren bereits sehr reifen abstrakten Malerei, entdeckt Richter ab 1986 2) das übermalte Foto als neue Bildgattung für sein Werk. Richter reizt die Thematisierung des für die Fotografie ureigenen Konflikts. Ein Foto kann trotz seines vermeintlichen Realismus immer „nur“ eine illusionistische und damit nicht greifbare Darstellung der äußeren Welt sein. Die Materialität der Farbe steht dabei in krassem Gegensatz zum zweidimensionalen Foto, welches zwar durch die dargestellte perspektivische Fluchtung Dreidimensionalität zu erzeugen sucht, diese aber nur auf der planen Fläche herstellen kann. Das Ausloten der Gegensätze von zweidimensionaler Illusion und dreidimensionaler Materialität, von Realität und Abstraktion sowie die Auseinandersetzung mit dem Zufall als bildgestaltendem Element verleiht den übermalten Fotografien ihren großen Reiz und besondere Qualität.
Der Künstler bedient sich beim Übermalen der Fotos verschiedenster Techniken: Entweder zieht er die Fotografie in einer wischenden Bewegung durch die noch feuchte Ölfarbe, die beim Malen der abstrakten Leinwände an dem dafür verwendeten Rakel haften geblieben ist, oder er drückt den Abzug flach auf die vorhandene Farbmaterie. Ein weiteres Verfahren ist das Ausschütten von flüssigen Lacken über den Bildträger. Die Ergebnisse der verschiedenen Vorgehensweisen differieren stark. Die entstandenen Strukturen können je nach verwendetem Material und angewandter Technik pastos, reliefartig, durchscheinend, verästelt oder schlierenhaft erscheinen. Die Ergebnisse sind nur bedingt kalkulierbar. Oft spielt der Zufall eine wichtige Rolle beim Entstehen der Arbeiten. Das fertige Kunstwerk wird von Gerhard Richter unter höchsten Ansprüchen an das entstandene Bild geprüft. Nur wenn etwas Spannendes entstanden ist, erfährt das Ergebnis Anerkennung durch den Künstler.
Anm.: 1) Die Art und Weise Fotos zu montieren entspricht der Archivierung für den sogenannten „Atlas“, in dem Richter sämtliche Quellen für seine fotorealistischen Bilder seit 1961 gesammelt dokumentiert hat.
2) Das früheste dokumentierte Werk ist laut Richters Internetseite „Ohne Titel (23.3.86)“. Vgl. http://www.gerhard-richter.com/biography/die-1990er-jahre-vertiefung-und-entwicklung-8