Lovis Corinth
Paraphrase (Portrait Charlotte Berend-Corinth)
1907
Öl auf Leinwand
87 × 65 cm
Signiert
Werkverzeichnis Berend-Corinth 1992 Nr. 342; Werkverzeichnis Berend-Corinth 1958 Nr. 342
Dr. Oscar Pinner, Frankfurt am Main; Anna Pinner (Witwe des 1928 verstorbenen Dr. Oscar Pinner), bei der 1938 erzwungenen Emigration nach London als Umzugsgut in Frankfurt am Main zurückgelassen; Kunsthandel Wilhelm Ettle, Frankfurt am Main, aus dem Umzugsgut von Anna Pinner nach 1938 unrechtmäßig in dessen Besitz gelangt; Wiesbaden Collecting Point, zwischen 1945 und 1952, 1953 wieder an Wilhelm Ettle; Privatsammlung USA (?); Privatsammlung Spanien (?); Kunsthaus Bühler (spätestens 1983), Stuttgart; Privatsammlung Deutschland (seit 1995); [2013 haben der bisherige Eigentümer und die Mitglieder der Erbengemeinschaft Pinner zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten und endgültigen Beilegung von Rückgabeanliegen unter Berücksichtigung der historischen Umstände und in Wahrung der Grundsätze der Washingtoner Erklärung eine gütliche Vereinbarung in Form eines Vergleichs geschlossen]
- Galerie Ludorff, Neuerwerbungen Herbst 2022, Düsseldorf 2022
- Oberes Belvedere/Saarlandmuseum - Moderne Galerie, "Lovis Corinth. Das Leben, ein Fest!", Wien/Saarbrücken 2021
- Haus der Kunst/Nationalgalerie/The Saint Louis Art Museum/Tate Gallery, "Lovis Corinth", München/Berlin/Saint Louis/London, 1996/1997
- Württembergischer Kunstverein, "Künstler in Deutschland 1900-1945. Individualismus und Tradition", Stuttgart 1986
- Museum Folkwang/Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, "Lovis Corinth", Essen/München 1985/1986
- Sächsischer Kunstverein, "Lovis Corinth. Gedächtnis-Ausstellung", Dresden 1927
- Nationalgalerie Berlin, "Gedächtnis-Ausstellung Lovis Corinth" 1926
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Herbst 2022", Düsseldorf 2022, S. 34
- Stella Rollig/Alexander Klee/Andrea Jahn/Kathrin Elvers‐Švamberk (Hg.), "Lovis Corinth. Das Leben, ein Fest!" Ausst.-Kat., Wien 2021, S. 141
- Kunstforum Wien/Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, "Lovis Corinth", Ausst.-Kat. München 1992, S. 49
- Charlotte Berend-Corinth/Béatrice Hernad, "Lovis Corinth. Die Gemälde", München 1992, Nr. 342
- Harald Behm, "Lovis Corinth" (Stuttgart, Kunsthaus Bühler), in: Weltkunst 53, 1983, S. 2013
- Charlotte Berend-Corinth, "Lovis Corinth. Die Gemälde", München 1958, Nr. 342
- Carl Georg Heise, "Lovis Corinth. Bildnisse der Frau des Künstlers. Erinnerungen an die Entstehung der Bilder von Charlotte Berend-Corinth", Stuttgart 1958, Nr. 7
- Robert Bertrand, "Lovis Corinth. Collection des Maitres", Paris 1940, Nr. 25
- Rudolf Klein, "Lovis Corinth", Berlin o.J.
»Ich würde Dich gern so malen, wie ich Dich gestern im Wagen sah – im hellgelben Kleid mit den vielen Spitzen und dem Spitzenschal über Deinem Kopf. Aber ich müßte dasselbe helle Mittagslicht haben – beinah schattenlos. Ich dachte, ob man in der Laube von unserem kleinen Garten das ausprobieren sollte.«1
In unserem vielfach museal präsentierten Gemälde von 1907 (s. S. 35) malt Lovis Charlotte in weißer Spitzenkleidung vor grüner Laubenbepflanzung im Garten. Es ist weit mehr als ein flüchtiger Moment eines schönen Sommertages im Urlaub an der Ostsee am Timmendorfer Strand. Der Künstler hat seine lockere impressionistische Malweise bereits voll entwickelt. Verträumt, aber direkt blickt Charlotte aus dem Bild heraus. Die Hände in den Schoß gelegt sitzt sie unbewegt dem Betrachtenden fast in Lebensgröße direkt gegenüber. Ihr Spitzenkleid in zartem Weiß-Grau, Gelb, Lachsrosa und Bläulich-Violet ist leicht durchsichtig. Das Gemälde ist ausgewogen zwischen sinnlichen Reizen und traumhafter Verspieltheit. Betitelt ist das Werk als Paraphrase2. Zweifellos schafft Corinth hier eine Erweiterung der Darstellung ins Übernatürliche und so ist das Werk auch als Huldigung an die weibliche Schönheit zu lesen. Die Paraphrase ist eine sinngemäße Wiedergabe, eine Umschreibung mit anderen Worten eines Gedankens, eines sprachlichen Ausdrucks. Corinth umschreibt im Gemälde all seine Gefühle, seine Gedanken, seinen Respekt gegenüber Charlotte, die in Worte nie zu fassen wären. Lovis Corinth, gebürtiger Ostpreuße, begann früh seine künstlerische Karriere. Von Paris über München kam er nach Berlin, wo er im Umkreis der Secession und neben Max Liebermann sowie Max Slevogt als dritter Hauptvertreter des deutschen Impressionismus gilt.
Corinths Erfolg ist vor, wie nach 1901 mit teils heftigen Widerständen, Anfeindungen und Skandalen verbunden. Vom Zeitpunkt ihres Kennenlernens an steht ihm dabei Charlotte, die er 1904 heiratet und die sich noch Jahrzehnte nach seinem Tod mit unermüdlichem Engagement für sein Werk einsetzen wird, zur Seite.
»Ich kann es nie ganz zum Ausdruck bringen, wie glücklich ich war, wenn Lovis mich malte. Da ich miterlebte, wie er das Bild aufbaute, entwickelte und vollendete, verstand ich seine künstlerische Idee, die ihn veranlaßt hatte, nochmals von mir ein Bild zu malen. Denn ich fühlte mich in jedem Porträt, sowohl mein Naturell als auch die jeweilige Stimmung, in der ich mich befand. Mein ganzes Wesen schließen die Porträts ein, mein ganzes Sein.«3
1 Carl Georg Heise, »Lovis Corinth. Bildnisse der Frau des Künstlers. Erinnerungen an die Entstehung der Bilder von Charlotte Berend-Corinth«, Stuttgart 1958, S. 23f, Nr. 7.
2 Den Titel erhielt das Gemäld von Alfred Kerr, einer der einflussreichsten deutschen Theaterkritiker zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der 1907 in Corinths Atelier portraitiert wurde und das Werk von Charlotte sah. Sarkastisch sagte er, dass man das Werk eher als Paraphrase bezeichnen könne, denn von seinem eigenen war er nicht gerade geschmeichelt. Siehe ebd. S. 24.
3 Charlotte Corinth zitiert nach ebd. S. 16.