Museo Castello San Materno in Ascona, Schweiz:
Karl Hofer. Figuren, Stillleben, Landschaften
May 26 – September 29, 2024
Mit dem Umzug in die führende Kunstmetropole Paris erhofft er sich neue Eindrücke und Inspirationen für seine Kunst. Er begeistert sich für die Werke von Eugène Delacroix (1798–1863) und Paul Cézanne (1839–1906) sowie für diejenigen des Manieristen El Greco (1541–1614). Unter diesen Einflüssen verändert und erneuert sich Hofers Malerei: Die wuchtigen, statuarischen Akte und Halbakte der römischen Zeit werden nun abgelöst durch überlange, zierliche Gestalten.
Während der Pariser Zeit unternimmt Karl Hofer in den Jahren 1910/11 sowie 1913 zwei ausgedehnte Reisen in den Süden von Indien nach Kerala. Er ist begeistert von der unberührten, paradiesischen Natur und den zurückhaltenden Menschen und malt während seiner mehrmonatigen Aufenthalte weibliche und männliche Figuren unter freiem Himmel.
Nach seiner Rückkehr aus Indien übersiedelt die Familie im Oktober 1913 nach Berlin – in die Stadt, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts als das bedeutendste Kunstzentrum Deutschlands gilt.
Während die Hofers im Sommer 1914 ihre Ferien im französischen Badeort Ambleteuse verbringen, werden sie vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs überrascht. Als feindlicher Ausländer wird der Künstler für drei Jahre zunächst in einem französisches Lager auf der Île dʼYeu und später in einem Hotel in Carnac Plage in der Bretagne interniert. Seine Frau und seine beiden Söhne dürfen im Dezember 1914 über die Schweiz nach Berlin zurückkehren. Dank der Intervention von Theodor Reinhart wird Hofer am 26. November 1917 aus der französischen Gefangenschaft in die Schweiz entlassen, bezieht Wohnung und Atelier in Zürich und widmet sich wieder ganz seiner Malerei.
Eine nachdrückliche Hinwendung zum Expressionismus setzt nun ein, wobei die Farbe bei Hofer deutlich zurückgenommen und stärker an den Gegenstand gebunden bleibt. Immer noch ist die Darstellung des Menschen in seiner Allgemeingültigkeit und Überzeitlichkeit zentral, doch sucht der Künstler nun auch nach neuen Motiven.
Zusammen mit dem Schweizer Bildhauer Hermann Haller (1880–1950) unternimmt Hofer 1918 eine erste Reise in das Tessin und hält die Landschaft am Luganer See in einer Bleistiftzeichnung sowie einem Gemälde fest. Auch nach seiner endgültigen Rückkehr 1919 nach Berlin verblassen die Erinnerungen an das Tessin nicht. Und so verbringt der Künstler ab 1925 regelmässig mehrere Wochen im Sommer auf der Südseite der Schweizer Alpen. Er fühlt sich seiner »paradiesischen Welt« so eng verbunden, dass er 1931 am Luganer See das Haus La Torrazza di Caslano erwirbt. Mit der Begeisterung für die mediterrane Region wendet sich der Figurenmaler Hofer verstärkt neben dem Stillleben vor allem der Landschaftsmalerei zu. Aber nicht der unberührten, arkadischen Natur gilt sein Interesse, sondern der Kulturlandschaft. Obwohl menschenleer, geben Gebäude, Strassen oder Brücken Hinweise auf eine zivilisierte und bewohnte Landschaft. »Nahezu alle meine Landschaften«, so beschreibt es der Künstler, »sind keine reinen Landschaften – sie sind durch die Architekturen Vordergrundbilder, und das Auge des Laien, das gern in einem Bild in die Ferne spazieren geht, kommt nicht eigentlich auf seine Rechnung. Mich fesselt auch das Tektonische in der Landschaft wie das Atmosphärische.« Im Laufe der Zeit entstehen mehr als 200 grossformatige Tessiner Landschaftsdarstellungen.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ist Karl Hofer zahlreichen Repressalien ausgeliefert: 1933 wird er als erster Professor aus dem Hochschuldienst entlassen, im Juli 1937 werden 311 seiner Arbeiten aus deutschen Museen entfernt und acht Gemälde sowie einige grafische Arbeiten in der diffamierenden Ausstellung Entartete Kunst in München gezeigt, vorübergehend erhält er Malverbot. Vor diesem Hintergrund entwickelt sich das Tessin zu Hofers Rückzugsort und Refugium.
Beim letzten längeren Sommeraufenthalt in der Schweiz werden Hofer und seine zweite Frau Elisabeth Schmidt (1891–1975), die er 1938 kurz nach seiner Scheidung geheiratet hat, vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs überrascht. Zurück in Berlin wird sein Atelier bei einem Bombenangriff Anfang März 1943 völlig zerstört, mehr als 150 Gemälde, 1500 Zeichnungen, diverse Skizzenbücher und seine gesamten Aufzeichnungen werden vernichtet.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kann der 67-jährige Hofer schnell wieder an seine früheren Erfolge anknüpfen. Er ist massgeblich am Wiederaufbau der Hochschule für bildende Künste in Berlin beteiligt und seine Werke sind in zahlreichen nationalen wie internationalen Ausstellungen in Museen und Galerien vertreten. Der gegenständlichen Kunst bleibt Hofer auch in diesen späten Jahren treu. Zwar hat er seit den 1920er-Jahren einige Versuche mit der ungegenständlichen Kunst gemacht, doch hat er diese letztendlich als wenig weiterführend für seine eigene, individuelle Kunstauffassung empfunden. Denn, so der Maler einige Monate vor seinem Tod, »das Zentralproblem der bildenden Kunst ist und bleibt der Mensch und das Menschliche, das ewige Drama«.
Harald Fiebig
Kurator der Ausstellung