Ernst Ludwig Kirchner
Hockende Fränzi
1910
chalk on vellum
41.5 × 29.5 cm / 16 5/16 × 11 5/8 in
With the Basel estate stamp, numbered »K Dre/Bg 28« and »K 8653« and inscribed »C1523« on the verso
The work has been registered by the Ernst Ludwig Kirchner Archiv Wichtrach/Bern
The artist’s studio; The artist’s estate (until 1991); Galerie Kornfeld, Bern (1991); Private Collection North Rhine-Westphalia (1991-2004); Collection Prof. Dr. Thomas Olbricht (since 2004)
- Galerie Ludorff, Neuerwerbungen Frühjahr 2021, Düsseldorf 2021
- me collectors room, Stiftung Olbricht, "Kirchner · Richter · Burgert", 11. Sep. - 03. Nov. 2019, Berlin
- Sprengel-Museum/Stiftung Moritzburg, "Der Blick auf Fränzi und Marcella. Zwei Modelle der Brücke-Künstler Heckel, Kirchner und Pechstein", Hannover/Halle (Saale) 2010/11
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Frühjahr 2021", Düsseldorf 2021, S. 84
- me collectors room, Stiftung Olbricht (Hg.), "Kirchner · Richter · Burgert", Ausst.-Kat. Berlin 2019, Nr. 27
- Norbert Nobis (Hg.), "Der Blick auf Fränzi und Marcella. Zwei Modelle der Brücke-Künstler Heckel, Kirchner und Pechstein", Ausst.-Kat. Sprengel-Museum, Hannover/Stiftung Moritzburg, Halle (Saale), Bönen 2010, Nr. 68
Fränzi war wohl das bekannteste Kindermodel des 20. Jahrhunderts. Ihre Bedeutung für die Kunst der Brücke-Künstler und die Erforschung ihrer Identität waren Thema mehrerer interessanter Ausstellungen und Publikationen der letzten Jahre, die neue Erkenntnisse zu ihr lieferten: Die am 11. Oktober 1900 als Lina Franziska Fehrmann geborene Fränzi taucht auf einer Vielzahl von Werken zwischen 1909 und 1911 auf und verbrachte viel Zeit mit den Künstlern in deren Ateliers in Dresden oder im Sommer an den Moritzburger Seen. Im Herbst 1911 siedelten die Maler nach Berlin über und fanden dort neue Modelle. Kirchner selbst beschreibt 1925 rückblickend die Bedeutung des Aktes innerhalb seines Œuvres in der Rolle eines anonymen Kritikers seiner Werke in seinem Davoser Tagebuch:
»Besonders interessierte ihn [Kirchner] naturgemäß der nackte Mensch. Hier zerriss er bewusst die traditionelle Art des Aktstudiums und schuf sich in seinem Atelier einen Kreis junger Mädchen, die er frei in der Bewegung studierte. […] Er sah die hilflose Abhängigkeit der zeitgenössischen Kunst von der Antike, sah, dass es andere Stile von mindestens ebenso hoher Kultur wie die griechische gab, sah aber auch, dass der Weg zu einer neuen modernen nur durch ein reines naives Naturstudium ohne Stilbrille führte. So wurden die Dresdener Jahre von einer fanatischen freien Arbeit nach nackten Menschen im kargen Atelier (Laden) und an den Moritzburger Seen erfüllt.«1
Unser Werk »Hockende Fränzi«, das auch in der großen Ausstellung 2010 »Der Blick auf Fränzi und Marcella. Zwei Modelle der Brücke-Künstler Heckel, Kirchner und Pechstein« im Sprengel Museum ausgestellt wurde, ist ein wundervoller Beleg für dieses Zitat. Kirchner umschreibt Körper und Gesicht des Mädchens mehr, als dass er es definiert. Die langen, sicher gesetzten Linien geben der Dargestellten Form und Halt. Die Binnenzeichnung fehlt fast vollständig und dennoch vermag es Kirchner geschickt, Räumlichkeit zu erzeugen. Der Künstler zeigt uns hier keine steife, akademische Pose, sondern hält in einem seiner berühmten »Viertelstundenakte« eine eher zufällige und dadurch sehr spontan und lebendig wirkende Position fest. Schon in diesem frühen Werk kann man die Vitalität und den kraftvollen Duktus sehen, der für sein weiteres Schaffen kennzeichnend werden wird.
1 Davoser Tagebuch, 1925 Kirchner als anonymer Kritiker seiner Kunst in einem Entwurf, möglicher weise als Korrektur des Textes von Will Grohmann für dessen zweite Publikation über den Künstler (1926). In: Lothar Grisebach, »Ernst Ludwig Kirchners Davoser Tagebuch, Eine Darstellung des Malers und eine Sammlung seiner Schriften«, Köln 1968, Neuauflage Ostfildern-Ruit 1997, S.76, hier zitiert nach: Anita Beloubek- Hammer, »Ernst Ludwig Kirchner, Erstes Sehen, Das Werk im Berliner Kupferstichkabinett «, München u.a. 2004, S. 66.