Karin Kneffels Bilder faszinieren und irritieren zugleich. Wie ist es möglich, dass eine relativ junge Künstlerin mit Präzision und handwerklichem Können derart opulente realistische Bilder malt, die schön sind im Wohlbefinden und Luxus vermittelnden Motiv, in der differenzierten Farbigkeit und den teilweise riesigen Formaten, und die den Betrachter gleichzeitig auf einer solchen Distanz halten?
Brigitte Reinhardt
Karin Kneffel ist ehemalige Meisterschülerin Gerhard Richters und heute selbst Professorin für Malerei an der Münchner Akademie der Künste. Sie gehört zu den bekanntesten deutschen Gegenwartskünstlerinnen und findet zunehmend auch international Beachtung. Jüngst wurde ihre herausragende Stellung mit einer umfangreichen Einzelausstellung in der Kunsthalle Tübingen (Karin Kneffel. 1990 – 2010, 1. Mai – 11. Juli 2010) gewürdigt.
Die Galerie Ludorff läutet die neue Ausstellungssaison ab dem 3. September 2010 mit einer Ausstellung der Düsseldorfer Malerin Karin Kneffel ein. Gezeigt werden insgesamt 29 Werke aus den Jahren 1995 bis 2010, darunter sowohl Ölgemälde als auch Aquarelle und graphische Arbeiten.
In ihrer Malerei konzentriert sich Karin Kneffel auf einfache Motive klassischer Genres, wie beispielsweise Landschaften, Stillleben und Interieurs, die einem auf den ersten Blick vertraut erscheinen. Bei längerer Betrachtung ist deren vermeintlich naturalistische Wiedergabe jedoch nicht haltbar: Die oftmals ungewöhnliche Kombination der Motive, die extremen Bildausschnitte und die häufig ins Überdimensionale aufgeblähte Größe einzelner Motive verwandeln die ursprünglich profanen Bildthemen in unheimliche Szenarien, die Anlass zu Spekulationen geben.
In ihren Interieurs und Treppenbildern dominieren ornamental-gemusterte Teppiche die Bildfläche. Extreme Unter- oder Aufsichten, die nicht der Perspektive eines ausgewachsenen Menschen entsprechen, irritieren den Betrachter. Die prächtigen Muster und die fast fühlbaren Materialien, die an großbürgerliche Raumausstattungen erinnern, kollidieren mit der eigenen unmöglichen Verortung im Bildgeschehen.
Auch in ihren oft großformatigen Früchtebildern, in denen Kirschen oder Trauben in Übergröße vor einem Himmel, einer Landschaft oder vor neutralem schwarzen Grund angeordnet sind, werden dem Betrachter kaum Proportionshilfen gegeben. In geradezu barocker Fülle scheinen die reifen Früchte zum Greifen nahe zu sein, schrecken gleichzeitig jedoch durch ihre unnatürliche Makellosigkeit in Form und Farbe ab.
Einige frühe Tierköpfe runden die Ausstellung ab und dokumentieren so Karin Kneffels Schaffen der vergangenen 20 Jahre. Durch die extreme Ausschnitthaftigkeit wirken diese kleinformatigen Arbeiten wie individuelle Portraits: Schweine, Schafe oder Hühner blicken den Betrachter direkt an, es entsteht eine seltsam-intime Zwiesprache mit den Tieren.
Charakteristisch für sämtliche Arbeiten Kneffels sind die auffallend präzise Maltechnik und ein nahezu unsichtbarer Pinselstrich. Durch ihre besonders aufwendige Technik – allein die Grundierung der Leinwände wird in vier Schichten langwierig vorbereitet – entstehen nur ca. 20 Gemälde pro Jahr. Kneffel greift für ihre Gemälde auf einen großen Schatz selbst angefertigter Photographien zurück, von denen sie immer mehrere auf der Leinwand kompositorisch verknüpft und somit die Realität verfremdet.
„Man muss etwas länger hinschauen, um zu merken, dass nichts stimmt […]. Man kann sich selbst darin gar nicht richtig verorten. Es bleibt eine Ungewissheit.“
Karin Kneffel
Am Anfang steht das rätselhafte Bild, zurück bleibt der zweifelnde Betrachter und seine über die Darstellung hinausgehenden Fantasien.