Ernst Ludwig Kirchner
Kopf Dodo
ca. 1911
Bleistift auf Velin
27 × 33,4 cm
Signiert und "05" datiert
Dieses Werk ist im Ernst Ludwig Kirchner Archiv Wichtrach/Bern dokumentiert
Stuttgarter Kunstkabinett R. N. Ketterer (1954); Privatsammlung Schweiz
- Sala de Exposiciones Fundación Eugenio Mendoza, "Expressionismo en Alemania", Caracas 1959
- Kunsthandlung Gauss/Kunsthalle Zürich/Galerie Ferdinand Möller/Kunstgebäude am Schlossplatz, "Ernst Ludwig Kirchner", München/Zürich/Köln/Stuttgart 1954
- "Expressionismo en Alemania", Ausst.-Kat., Caracas 1959, Nr. 40
- L. G. Buchheim, "Die Künstlergemeinschaft Brücke: Gemälde, Zeichnungen, Graphik, Plastik, Dokumente", Feldafing 1956, Abb. 20
- Galerie Ferdinand Möller/Kunstgebäude am Schlossplatz, "Ernst Ludwig Kirchner", Ausst.-Kat, München/Zürich/Köln/Stuttgart 1954, Nr. 84
Ernst Ludwig Kirchner gründet 1905 zusammen mit Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl eine der einflussreichsten Künstlergruppen des 20. Jahrhunderts, die »Brücke«. Sein Dresdner Atelier ist Treffpunkt der deutschen Avantgarde. Das Zeichnen ist zentrales Element des künstlerischen Schaffens. Hierbei üben sich die »Brücke«-Maler am sogenannten »Viertelstundenakt«.
Alle 15 Minuten wechselt das Modell die Pose. Nun steht nicht mehr das naturalistische Studium im Mittelpunkt des Interesses. Vielmehr üben sich die Zeichner in einer schnellen, sicheren Konturzeichnung, in der neben den Proportionen vor allem der Ausdruck ablesbar werden soll. Die schnelle Notiz des Wahrgenommenen bleibt für Kirchner in allen Schaffensphasen bedeutungsvoll: »Ich lernte den ersten Wurf schätzen, so dass die ersten Skizzen und Zeichnungen für mich den großen Wert hatten. Was habe ich mich oft geschunden, das bewusst zu vollenden auf der Leinwand, was ich ohne Mühe in Trance auf der Skizze ohne weiteres hingeworfen hatte.«1 Stets hat Kirchner seine Skizzenbücher zur Hand und so entstehen unzählige Zeichnungen, die beinahe wie ein visuelles Tagebuch zu lesen sind. Die Zeichnungen sind der eigentliche Mittelpunkt seines Schaffens, aus welchem die Malerei wie die Druckgraphik abgeleitet werden.
Unsere Zeichnung »Kopf Dodo« aus dem Jahr 1911 zeigt Kirchners damalige Freundin Dodo – Doris Grosse – im Profil.2 Das Umfeld Dodos bleibt im Unklaren. Die abstrahierte Grünpflanze und das Bild, könnten jedoch darauf hindeuten, dass es sich um Kirchners Dresdner Wohnatelier handelt. Dieses stattete er mit selbstgestalteten Dekorationen und geschnitzten Skulpturen nach dem Vorbild primitiver Künstler aus, wie sich der Sammler Gustav Schiefler erinnert: »Er hatte sich in einer Vorstadtstraße Dresdens, der Not gehorchend, ein seltsames Atelier gemietet: einen engen Krämerladen, der sich mit einer großen Scheibe nach der Straße öffnete und neben dem ein kleines Gemach als Schlafraum diente. Diese Räume waren phantastisch ausgestattet.«3 Mit sicheren Linien ist die Gestalt Dodos im Vordergrund gezeichnet. Sie hält die Augen geschlossen und der Kopf ist anmutig nach vorne geneigt. Von der Zeichnung geht trotz der dynamisch geführten Linien eine große Leichtigkeit und Unbeschwertheit aus, die das Wesentliche der vorgefundenen Stimmung bannt und den großen Expressionisten verrät.
Magdalena M. Moeller/Roland Scotti (Hg.), »Ernst Ludwig Kirchner – Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Druckgrafik – Eine Ausstellung zum 60. Todestag«, Ausst.-Kat., München 1998, S. 12.
Die Begegnung mit Dodo ist für Kirchner außerordentlich prägend. Noch Jahre nach der Trennung erinnert er sich an die Geliebte in einer Tagebuchnotiz vom 5. Juli 1919: »Deine feine frische Liebeslust, mit Dir erlebte ich Sie ganz, fast zur Gefahr meiner Bestimmung. Doch Du gabst mir die Kraft zur Sprache über Deine Schönheit im reinsten Bilde eines Weibes.« Vgl. Nationalgalerie Berlin, »Ernst Ludwig Kirchner«, Ausst.-Kat., Berlin 1980, S. 121.
Magdalena M. Moeller (Hg.), »Von Dresden nach Davos – Ernst Ludwig Kirchner Zeichnungen«, Ausst.-Kat., München 2004, S. 72.