Ernst Ludwig Kirchner

Segelboot an den Steinen
1912

Ernst Ludwig Kirchner, Segelboot an den Steinen

Bleistift auf Papier

33,5 × 43,5 cm

Mit dem Basler Nachlassstempel versehen und "BBe/Aa 31", "K 2366" und "1991" nummeriert sowie von Florian Karsch datiert und "Küste von Fehmarn" betitelt und mit dem Sammlerstempel "SHG" auf der Rückseite

Das Werk war als Dauerleihgabe im Schleswig-Holsteinischem Landesmuseum, Schloss Gottorf, Schleswig (1995-2001), im Kunstmuseum Moritzburg, Halle an der Saale (2001-2017) und im Buchheim Museum, Bernried (2017-2022)

Dieses Werk ist im Ernst Ludwig Kirchner Archiv Wichtrach/Bern dokumentiert

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Provenienz

Nachlass des Künstlers (Davos 1938, Kunstmuseum Basel 1946, Stuttgarter Kunstkabinett Roman Norbert Ketterer 1954); Galerie Nierendorf, Berlin (21. Juni 1956); Galerie Rosenbach, Hannover (1969); Sammlung Hermann Gerlinger, Würzburg

Ausstellungen
  • Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Frühjahr 2024", Düsseldorf 2024
  • Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, "Ernst Ludwig Kirchner auf Fehmarn. Brücke Almanach", Schloss Gottdorf, Schleswig 1997
Literatur
  • Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Frühjahr 2024", Düsseldorf 2024, S. 60
  • Hermann Gerlinger/Katja Schneider (Hg.), "Die Maler der Brücke. Bestandskatalog Sammlung Hermann Gerlinger", Halle (Saale) 2005, Nr. 739, S. 326
  • Hermann Gerlinger/Heinz Spielmann (Hg.), "Ernst Ludwig Kirchner auf Fehmarn", Schleswig 1997, S. 24 + 91
  • Heinz Spielmann (Hg.), "Die Maler der Brücke. Sammlung Hermann Gerlinger", Stuttgart 1995, S. 159

1912 ist für Ernst Ludwig Kirchner sehr produktiv und erfolgreich. Im Jahr zuvor war er nach Berlin gezogen, wo er einen eigenständigen, von den anderen »Brücke-Künstlern« losgelösten Stil entwickelt und zentrale Werke seines Œuvres entstehen. Im Februar 1912 nimmt Kirchner an der Ausstellung »Der Blaue Reiter« in der Galerie Hans Goltz in München und später in der Berliner Galerie »Der Sturm« teil. Im Mai erscheint das epochale Buch »Der Blaue Reiter« von Wassily Kandinsky und Paul Klee, in dem Kirchner ebenfalls einen Beitrag veröffentlicht. »Die Brücke« zeigt ihre Werke unter anderem in der Galerie Commeter in Hamburg und wird eingeladen, an der wichtigen, internationalen Sonderbund-Ausstellung in Köln teilzunehmen. Kirchner wird die große Ehre zuteil, gemeinsam mit Erich Heckel die »Kapelle« der Ausstellung auszumalen. Nach der Eröffnung im Mai reist Kirchner mit seiner neuen Lebensgefährtin Erna Schilling und ihrer Schwester Gerda auf die Ostseeinsel Fehmarn, wo unsere wundervolle Zeichnung »Segelboot an den Steinen« entsteht.

Dem bedeutenden Sammler und Förderer Gustav Schiefler beschreibt er die produktive Zeit an der Ostsee wie folgt: »Wie Sie wohl wissen, war ich diesen Sommer nach 5-jähriger Pause wieder in Fehmarn. Ich will auch nächstes Jahr wieder hin, der ganz starke Eindruck des ersten Dortseins hat sich vertieft, und ich habe Bilder gemalt von absoluter Reife, soweit ich das selbst beurteilen kann.« 1)

Die vorliegende Bleistiftzeichnung zeigt einen markanten Strandabschnitt auf Fehmarn mit hochliegendem Horizont und einem kleinen Segelboot, das rechts im Mittelgrund über die ruhige See schippert. Das Auge der Betrachtenden wird vom Künstler geschickt über die von vorne nach hinten in einem sanften Bogen entlang der Brandung verteilten, eiszeitlichen Steinformation durch das Bild gelenkt. Die dargestellte Landschaft scheint Kirchner sehr begeistert zu haben, denn er malt noch im selben Jahr das Gemälde »Ins Meer Schreitende« (WVZ Gordon Nr. 262, Staatsgalerie Stuttgart, s. Abb. 1), in dem er dieselben markanten Felsen – jedoch in diesem Fall aus dem Wasser heraus betrachtet – wieder aufgreift.

Der besondere Reiz unserer Zeichnung liegt in der für Kirchner sehr typischen schnellen und auf das Wesentliche beschränkten Ausführung und der dennoch raffiniert komponierten Darstellung dieser idyllischen Landschaft, die ihn zu neuen Meisterwerken und einer bedeutenden Weiterentwicklung seines Stils anregte. Zudem war das Werk, das aus der hochkarätigen Sammlung des »Brücke«-Kenners Hermann Gerlinger stammt, von 1995 bis 2022 als Dauerleihgabe in drei öffentlichen Sammlungen vertreten.

Waren zur Dresdener Zeit noch Kirchners Partnerin Dodo oder die beiden Mädchen Fränzi und Marcella seine bevorzugten Modelle, hat insbesondere das Zusammentreffen mit zwei Tänzerinnen einen starken Einfluss auf die Entwicklung seines Berliner Stils: In einer Tingeltangel-Bar lernt er zunächst Gerda und später deren Schwester Erna kennen, die nach einer kurzen Beziehung des Künstlers zu Gerda seine Partnerin wird. Kirchner selbst schreibt rückblickend: »Die Gestaltung des Menschen wurde durch meine dritte Frau (Erna), eine Berlinerin, die von nun an mein Leben teilte, und deren Schwester stark beeinflusst. Die schönen architektonisch aufgebauten streng­förmigen Körper dieser beiden Mädchen lösten die weichen sächsischen Körper ab.« 2) Die künstlerische Auseinander­setzung mit deren Akten erzieht Kirchners »Schönheitsempfinden zur Gestaltung der körperlich schönen Frau unserer Zeit.« 3) Auf der Rückseite unseres Blattes »Gerda mit Hut« befindet sich eine Skizze zweier Frauenakte, die möglicherweise die Schwestern zeigt.

Auf der Vorderseite schaut eine schöne, junge Frau direkt und selbstbewusst aus dem Bild heraus. Dass es sich um Gerda handelt, erkennt man an den sinnlichen, vollen Lippen. Kirchner vermag es, Gerdas moderne Erscheinung in wenigen Strichen gekonnt einzufangen. Man erkennt seine Meisterschaft in der genauen und schnellen Beobachtung der Szene und deren beeindruckender Umsetzung auf dem Papier. Der Künstler selbst schreibt unter einem Pseudonym über seine Zeichnungen: »Er [Kirchner] nutzt dazu die ganze Fläche des betreffenden Blattes. Nicht nur die Linien und die von ihnen gebildeten Formen, sondern auch die unbezeichnet bleibenden Teile des Blattes formen das Bild.« 4)

»Gerda mit Hut« gehört zu Kirchners favorisierten Sujets der Berliner Zeit. Er variierte es beispielsweise auch 1914 im Gemälde »Bildnis Gerda« (WVZ Gordon Nr. 422, Von der Heydt-Museum, Wuppertal s. Abb. 2). 1988 präsentierte das Baltimore Museum unsere Zeichnung als Teil der Ausstellung »German Expressionist Graphics 1905-1985« (s. Abb. 3, S. 64).

1) E. L. Kirchner an G. Schiefler am 31.12.1912, aus: »Brief­wechsel 1910-1935«, Stuttgart/Zürich 1990, Nr. 33, S. 61

2) Ernst Ludwig Kirchner, »Die Arbeit E. L. Kirchners«, in: Eberhard W. Kornfeld, »Ernst Ludwig Kirchner. Nachzeichnung eines Lebens«, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Basel, Bern 1979, S. 332-345, hier S. 341, wahrscheinlich 1925/26 verfasst

3) ebd.

4) L. De Marsalle, »Zeichnungen von E. L. Kirchner«, in: Lothar Grisebach: E. L. Kirchners Davoser Tagebuch, Eine Darstellung des Malers und eine Sammlung seiner Schriften, Köln 1968, S. 185.

Über Ernst Ludwig Kirchner

Der expressionistische Maler Ernst Ludwig Kirchner war Mitbegründer der Künstlervereinigung »Brücke«, in deren Schaffensfokus das Medium der Zeichnung stand.

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