Lyonel Feininger
Kirche von Treptow an der Rega I
1926
Aquarell und Tusche auf Papier
28,5 × 41,5 cm
Signiert, "11.7.26" datiert und betitelt
Das umgekehrte Venus-Symbol ♀ unten links auf dem Bild ist ein Hinweis darauf, dass Lyonel Feininger dieses Werk für seine persönliche Sammlung aufbewahren wollte. Das Aquarell zeigt die Marienkirche in Treptow (dem heutigen Trzebiatów) an der Ostsee. Der Künstler besuchte Treptow häufig während seiner Sommerferien in Deep (dem heutigen Mrzeżyno) von 1924 bis 1935. Diese Kirche in Treptow ist auf den Gemälden Vita Nova, 1947 (Moeller 488) und Kirche von Alt-Treptow, 1949 (Moeller 510) abgebildet.
Registriert im Archiv des Lyonel Feininger Project LLC New York/Berlin unter der Nr. 1821-01-23-23
Achim Moeller, Direktor des Lyonel Feininger Project LLC, New York/Berlin 2023
Laurence Feininger, Trento (Sohn des Künstlers); Privatsammlung Europa (in Familienbesitz 1973-2023)
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Frühjahr 2024", Düsseldorf 2024
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Frühjahr 2024", Düsseldorf 2024, S. 24
Der Künstler und Bauhaus-Lehrer Lyonel Feininger war ein hervorragender Zeichner und Aquarellist. Seine Arbeiten auf Papier begeistern durch die Spannung zwischen duftigem Farbauftrag und kontrolliert gesetzter Linie. Bereits 1907 schrieb der damals noch erfolgreich als Karikaturist tätige Feininger an seine spätere Frau Julia: »Das Gesehene muss innerlich umgeformt und crystallisiert werden.« 1) Ein Erweckungsmoment für seinen späteren Stil als freischaffender Künstler war sein Besuch 1911 in Paris und die Begegnung mit Robert Delaunays kubistisch-prismatischen Ansichten des Symbols für Modernität: dem Eiffelturm. Im Gegensatz dazu wählt Feininger Architektur aus seinem Umfeld: mittelalterliche Kirchen. In Analogie zur Fuge in der Musik, stellt der aus einer Musikerfamilie stammende Feininger seine Kirchen in einem Spannungsfeld aus Harmonie und Dissonanz, Formstrenge und Rhythmus dar. Die Transparenz der Aquarellfarbe symbolisiert eine geistige Klarheit, Durchdringung und Spiritualität, wodurch die »innere Version« des Malers zum Vorschein tritt.
»Kirche von Treptow an der Rega I« ist ein eindrucksvolles Beispiel für dieses zentrale Thema im Œuvre des Künstlers. Feininger besuchte die Stadt Treptow (das heutige Trzebiatów in Polen) von 1924 bis 1935 häufig während seiner Sommerferien in Deep (dem heutigen Mrzeżyno). Seine anfänglichen Ressentiments gegenüber der Stadt legt er schnell ab:
»Neulich war Treptow für mich voller neuer Entdeckungen – die Stadt gewinnt an Attraktivität, wenn man sie näher kennenlernt. Sie ist mausetot; aber aus dem erbärmlichen Verfall, mit dem man anfangs konfrontiert wird, tauchen allmählich Spuren eigentümlicher Fantasien auf, und eine einzigartige friedliche Schönheit des Ortes überwältigt mich, etwas, das man liebgewinnen kann.« 2)
Jahrzehnte später, im amerikanischen Exil, hielt er seine Eindrücke auf den Gemälden »Vita Nova«, 1947 (Moeller 488), und »Kirche von Alt-Treptow«, 1949 (Moeller 510), erneut fest und griff somit auf sein in Europa geschaffenes »künstlerisches Kapital« zurück. Ebenso bezeichnete Feininger Werke, die er mit dem umgekehrten Venus-Symbolals unverkäuflich kennzeichnete, wie auch auf unserem Blatt unten links geschehen, um es für seine persönliche Sammlung zurückzuhalten. Beleg für die Bedeutung dieses Aquarells ist auch die Tatsache, dass es vom Künstler in die Sammlung seines Sohnes Laurence überging, also in der Familie verblieb.
1 Brief an Julia Berg vom 29. August 1907.
2 Lyonel Feininger in einem Brief an seine Frau Julia, 1925, dem Jahr bevor unser Blatt entsteht.