Otto Mueller
Sitzender Frauenakt an einem Gewässer / Sitzender Akt
ca. 1927

Pastellkreide auf Papier
48 × 68 cm
Rückseitig mit dem Nachlassstempel "OM. Nachlass Prof. Otto Mueller Breslau" versehen und handschriftlich "Vömel" bezeichnet
Aufgenommen in das in Vorbereitung befindliche Werkverzeichnis von Dr. Tanja Pirsig-Marshall und Dr. Mario-Andreas von Lüttichau unter der Nr. 938
Dr. Tanja Pirsig-Marshall, Münster
Nachlass des Künstlers (1930); Sammlung Josef Mueller-Herbig, Karlsruhe/Lübeck (1931); Galerie Vömel, Düsseldorf (1952); vermutl. Sammlung Rüdiger Graf von der Goltz (1950er-1970er); Privatsammlung Rheinland
- Galerie Ludorff, "Drawn World: Zeichnungen von Menzel bis Warhol", Düsseldorf 2019
- Galerie Alex Vömel, "Otto Mueller. Aus Besitz des Sohnes", Düsseldorf 1952
- Galerie Ludorff, "Drawn World. Zeichnungen von Menzel bis Warhol", Düsseldorf 2019, S. 74
- Galerie Alex Vömel, "Otto Mueller. Aus Besitz des Sohnes", Düsseldorf 1952, Nr. 10
Otto Mueller beginnt seine künstlerische Karriere mit einer Lithographenlehre in Görlitz und Breslau, um anschließend 1896 an die Kunstakademie Dresden zu wechseln. Noch deutlich steht der damals 25-jährige unter dem Einfluss des Symbolismus und des Jugendstils. Aufgrund eines Streits mit seinem Lehrer Hermann Freye, wechselt Mueller an die Königliche Akademie der Bildenden Künste in München. Doch schon ein Jahr später versagt ihm der damalige Direktor Franz von Stuck die Genehmigung, sein Studium in München fortzusetzen. Mueller zieht es daraufhin bereits 1908 mit seiner Frau Maria »Maschka« Meyerhöfer nach Berlin, um sich dort künstlerisch neu zu orientieren. Die vergeblichen Versuche in der Berliner Secession aufgenommen zu werden, führen dazu, dass er 1910 gemeinsam mit Georg Tappert, Max Pechstein und anderen die »Neue Secession« gründet, die sich als Organ der expressionistischen Malerei und als Reaktion auf das etablierte Berliner Gefüge unter der Federführung Max Liebermanns versteht. Mueller tritt zudem 1908 der bereits existierenden »Brücke«-Gruppe unter Heckel, Kirchner und Pechstein bei. So entsteht in gemeinschaftlich organisierten Projekten ein Netzwerk der Expressionisten, welches ihnen unter Zuhilfenahme aller gemeinsamer Kontakte und Mittel erlaubt, überregional zu operieren und ihre Kunst einem breiteren Publikum zu präsentieren.
Wie bei seinen Freunden der »Brücke« spielt auch bei Mueller die Zeichnung eine bedeutende Rolle, ist sie es doch mittels derer das Erlebte ganz unmittelbar eingefangen und festgehalten werden kann. Muellers Kunst ist jedoch weniger impulsiv und ekstatisch im Vergleich etwa zu den Werken seiner Mitstreiter, die sich in den vorangegangenen Jahren in Dresden bereits gegenseitig zu Höchstleistungen animierten und sich einen nahezu kollektiven Stil sehr intensiver Farbigkeit angeeignet hatten. Muellers Farbpalette ist wesentlich ruhiger und im Vergleich zu den anderen »Brücke«-Künstlern fast schon zurückhaltend zu nennen. Sie ist jedoch keineswegs weniger emotional. Im Gegenteil lässt sich in Muellers Werk eine sehr intensive Emotionalität und große Sensibilität nachweisen. Er bevorzugt die ruhigeren Töne, erkennt sein wesentliches Motiv jedoch bereits sehr früh und arbeitet mit umso größerer Konsequenz an seinem Lebensthema eines in sich ruhenden Lebens im Einklang mit der Natur und den Menschen in seiner Umgebung.
Das vorliegende, bildhafte Blatt stellt ein meisterhaftes Beispiel von Muellers einfühlsamer Zeichenkunst dar. Er hält in unserem Werk die ganze Schönheit des jungen Körpers der Dargestellten fest, die sich im Einklang mit sich selbst und der umgebenden Umwelt befindet. Sie sitzt rücklings an einen Felsen gelehnt und hat die Beine entspannt übereinandergeschlagen. Der Blick ist dem Betrachter beziehungsweise dem Künstler zugewandt. Sie hat sich lediglich ein wärmendes Tuch oder einem ärmellosen Morgenmantel über Schultern und Rücken gelegt, um das Anlehnen an den zerklüfteten Felsen etwas angenehmer zu gestalten. Der Fels gehört zu einer Küstenformation an einem ruhigen Gewässer, das sich hinter der Dargestellten bis hin zu einem weit entfernten Horizont ausbreitet. Die Wasseroberfläche ist ruhig. Da man auf der anderen Seite kein Ufer erkennt, kann man davon ausgehen, dass Mueller die Situation an einem nahezu windstillen Sommertag am Meer festgehalten haben muss. Die entspannte Haltung mit den locker übereinandergeschlagenen Beinen bringt den unbefangenen und vertrauten Umgang von Künstler und Modell zum Ausdruck.
Das Expressive in Muellers gefühlvoller Kunst wird stets in etwas leiserer Tonlage vorgetragen. Nichts desto trotz erreicht Mueller eine sehr klare Aussage mit nachwirkender Intensität. Die Schönheit der Dargestellten wirkt in der Idylle der ebenso schönen Natur fast selbstverständlich. Natürlich ist beides für Mueller alles andere als das, aber es stellt sein Ideal dar, dem er in seiner Kunst stets nachstrebt. Der gekonnte, rasche Umgang mit der Pastellkreide unterstreicht Muellers besondere Fähigkeit, noch vor Ort sehr eindrucksvolle Ergebnisse mit starker Ausdruckskraft festzuhalten. Seine Bilder stehen hierbei ganz im Zeichen eines romantischen Gefühls für das Exotische und der paradiesischen Natur, die sich dem nüchternen Alltag entziehen möchte.