Museum

Museo Castello San Materno in Ascona, Schweiz:

"Karl Hofer. Figuren, Stillleben, Landschaften"

26. Mai – 29. September 2024

Das Museo Castello San Materno Ascona begeht 2024 sein 10-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass ist die Jubiläumsausstellung dem bedeutenden deutschen Maler, Zeichner und Grafiker Karl Hofer (1878–1955) gewidmet, der zu den angesehensten Figurenmalern des 20. Jahrhundert zählt und – oszillierend zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit – zeitlebens eine überaus eigenständige Kunstauffassung vertrat.

Die Sonderausstellung präsentiert anhand einer konzentrierten Auswahl von Gemälden und einigen Arbeiten auf Papier das vielfältige Schaffen Karl Hofers, das von einer entrückten Figurendarstellung über das Stillleben bis hin zu einer eher sachlichen Landschaftsmalerei reicht. Arbeiten aus unterschiedlichen Werkperioden werden dabei gegenübergestellt, um seine weitreichende künstlerische Entwicklung und die wesentlichen Bildthemen anschaulich zu machen. Und weil das Leben und Schaffen des Malers besonders eng mit der Schweiz und vor allem mit dem Tessin verknüpft waren, bilden seine dort entstandenen Landschaften in der oberen Etage des Castello einen besonderen Schwerpunkt dieser Schau.

Die Ausstellung konnte dank bis dato selten gezeigter Leihgaben der Josef Müller-Stiftung im Kunstmuseum Solothurn, der Sammlung Arthouse, der Wiesbadener Privatsammlung von Frank Brabant und einer Privatsammlung aus Norddeutschland realisiert werden. Sie ist ein Projekt der Kulturstiftung Kurt und Barbara Alten, Solothurn, in Kooperation mit dem Museo Comunale dʼArte Moderna und der Gemeinde Ascona.

Am 11. Oktober 1878 wird Karl Hofer in Karlsruhe geboren. Er durchlebt eine entbehrungsreiche Jugend – sein Vater stirbt kurz nach seiner Geburt, und da seine Mutter nun alleine und aushäusig den Lebensunterhalt verdienen muss, wächst er zunächst bei seinen betagten Großtanten und später für einige Jahre in einem Waisenhaus auf. Als 14-Jähriger beginnt er eine kaufmännische Lehre in der Chr. Fr. Müllerʼschen Hofbuchhandlung, drei Jahre später steigt er zum kaufmännischen Gehilfen auf und arbeitet im Kontor der Hofbuchhandlung. Neben der Literatur und dem Theater interessiert er sich schon früh für die Bildende Kunst, zeichnet intensiv und übt sich in der Technik des Aquarells. Mehr und mehr reift in ihm der Wunsch, Künstler zu werden.

Ein Stipendium des Großherzogs von Baden ermöglicht dem inzwischen 18-Jährigen im Februar 1897 die Aufnahme eines Studiums an der Großherzoglich Badischen Kunstschule Karlsruhe. Seine Lehrer sind unter anderem der deutsch-österreichische Genre- und Landschaftsmaler Robert Poetzelberger (1856–1930) und der Maler und Grafiker Hans Thoma (1839–1924). 1903 beschliesst Hofer sein Studium an der Königlichen Akademie der bildenden Künste in Stuttgart als Meisterschüler bei dem Landschaftsmaler und Grafiker Leopold Graf von Kalckreuth (1855–1928). Hofer ist anfangs beeinflusst von Künstlern des Symbolismusʼ wie Max Klinger (1857–1920), Arnold Böcklin (1827–1901) und Edvard Munch (1863–1944).

Einen Wendepunkt für sein weiteres Leben sowie seine künstlerische Entwicklung und Karriere löst die Begegnung mit dem Schweizer Studenten Hans Reinhart (1880–1963) aus. Bei einem Sommeraufenthalt auf der Havelinsel Pichelswerder bei Berlin-Charlottenburg lernt Hofer im Jahr 1901 den späteren Philosophen und Dichter kennen und malt ein ganzfiguriges Einzelporträt von ihm, welches dessen Vater, der Winterthurer Industrielle, Kunstsammler und Mäzen Dr. Theodor Reinhart (1849–1919) erwirbt. Dieser wird von nun an den Künstler 18 Jahre lang großzügig fördern, ihn in allen künstlerischen Belangen unterstützen und ihm ein väterlicher Freund sein.

Reinhart ermöglicht dem jungen, noch nach seinem eigenen Stil suchenden Künstler dank vertraglich zugesicherter regelmäßiger Bilderankäufe nicht nur einen fünfjährigen Studienaufenthalt in Rom (1903–08), sondern auch einen daran anschließenden, ebenso ausgedehnten Aufenthalt in Paris (1908–13). Es sind unbeschwerte Zeiten, die Hofer zusammen mit seiner Frau, der in Wien geborenen jüdischen Konzertsängerin Mathilde Scheinberger (1874–1942) in den beiden kunstsinnigen Städten verbringt. In Rom wendet sich der Künstler verstärkt dem Studium des weiblichen und männlichen Aktes zu, sein Schaffen wird von der Malerei der Renaissance sowie der idealistischen Malerei von Hans von Marées (1837–1887) beeinflusst, dessen Fresken er in der Zoologischen Station in Neapel studiert hat.

Mit dem Umzug in die führende Kunstmetropole Paris erhofft er sich neue Eindrücke und Inspirationen für seine Kunst. Er begeistert sich für die Werke von Eugène Delacroix (1798–1863) und Paul Cézanne (1839–1906) sowie für diejenigen des Manieristen El Greco (1541–1614). Unter diesen Einflüssen verändert und erneuert sich Hofers Malerei: Die wuchtigen, statuarischen Akte und Halbakte der römischen Zeit werden nun abgelöst durch überlange, zierliche Gestalten.

Während der Pariser Zeit unternimmt Karl Hofer in den Jahren 1910/11 sowie 1913 zwei ausgedehnte Reisen in den Süden von Indien nach Kerala. Er ist begeistert von der unberührten, paradiesischen Natur und den zurückhaltenden Menschen und malt während seiner mehrmonatigen Aufenthalte weibliche und männliche Figuren unter freiem Himmel.

Nach seiner Rückkehr aus Indien übersiedelt die Familie im Oktober 1913 nach Berlin – in die Stadt, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts als das bedeutendste Kunstzentrum Deutschlands gilt.

Während die Hofers im Sommer 1914 ihre Ferien im französischen Badeort Ambleteuse verbringen, werden sie vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs überrascht. Als feindlicher Ausländer wird der Künstler für drei Jahre zunächst in einem französisches Lager auf der Île dʼYeu und später in einem Hotel in Carnac Plage in der Bretagne interniert. Seine Frau und seine beiden Söhne dürfen im Dezember 1914 über die Schweiz nach Berlin zurückkehren. Dank der Intervention von Theodor Reinhart wird Hofer am 26. November 1917 aus der französischen Gefangenschaft in die Schweiz entlassen, bezieht Wohnung und Atelier in Zürich und widmet sich wieder ganz seiner Malerei.

Eine nachdrückliche Hinwendung zum Expressionismus setzt nun ein, wobei die Farbe bei Hofer deutlich zurückgenommen und stärker an den Gegenstand gebunden bleibt. Immer noch ist die Darstellung des Menschen in seiner Allgemeingültigkeit und Überzeitlichkeit zentral, doch sucht der Künstler nun auch nach neuen Motiven.

Zusammen mit dem Schweizer Bildhauer Hermann Haller (1880–1950) unternimmt Hofer 1918 eine erste Reise in das Tessin und hält die Landschaft am Luganer See in einer Bleistiftzeichnung sowie einem Gemälde fest. Auch nach seiner endgültigen Rückkehr 1919 nach Berlin verblassen die Erinnerungen an das Tessin nicht. Und so verbringt der Künstler ab 1925 regelmässig mehrere Wochen im Sommer auf der Südseite der Schweizer Alpen. Er fühlt sich seiner »paradiesischen Welt« so eng verbunden, dass er 1931 am Luganer See das Haus La Torrazza di Caslano erwirbt. Mit der Begeisterung für die mediterrane Region wendet sich der Figurenmaler Hofer verstärkt neben dem Stillleben vor allem der Landschaftsmalerei zu. Aber nicht der unberührten, arkadischen Natur gilt sein Interesse, sondern der Kulturlandschaft. Obwohl menschenleer, geben Gebäude, Strassen oder Brücken Hinweise auf eine zivilisierte und bewohnte Landschaft. »Nahezu alle meine Landschaften«, so beschreibt es der Künstler, »sind keine reinen Landschaften – sie sind durch die Architekturen Vordergrundbilder, und das Auge des Laien, das gern in einem Bild in die Ferne spazieren geht, kommt nicht eigentlich auf seine Rechnung. Mich fesselt auch das Tektonische in der Landschaft wie das Atmosphärische.« Im Laufe der Zeit entstehen mehr als 200 grossformatige Tessiner Landschaftsdarstellungen.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ist Karl Hofer zahlreichen Repressalien ausgeliefert: 1933 wird er als erster Professor aus dem Hochschuldienst entlassen, im Juli 1937 werden 311 seiner Arbeiten aus deutschen Museen entfernt und acht Gemälde sowie einige grafische Arbeiten in der diffamierenden Ausstellung Entartete Kunst in München gezeigt, vorübergehend erhält er Malverbot. Vor diesem Hintergrund entwickelt sich das Tessin zu Hofers Rückzugsort und Refugium.

Beim letzten längeren Sommeraufenthalt in der Schweiz werden Hofer und seine zweite Frau Elisabeth Schmidt (1891–1975), die er 1938 kurz nach seiner Scheidung geheiratet hat, vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs überrascht. Zurück in Berlin wird sein Atelier bei einem Bombenangriff Anfang März 1943 völlig zerstört, mehr als 150 Gemälde, 1500 Zeichnungen, diverse Skizzenbücher und seine gesamten Aufzeichnungen werden vernichtet.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kann der 67-jährige Hofer schnell wieder an seine früheren Erfolge anknüpfen. Er ist massgeblich am Wiederaufbau der Hochschule für bildende Künste in Berlin beteiligt und seine Werke sind in zahlreichen nationalen wie internationalen Ausstellungen in Museen und Galerien vertreten. Der gegenständlichen Kunst bleibt Hofer auch in diesen späten Jahren treu. Zwar hat er seit den 1920er-Jahren einige Versuche mit der ungegenständlichen Kunst gemacht, doch hat er diese letztendlich als wenig weiterführend für seine eigene, individuelle Kunstauffassung empfunden. Denn, so der Maler einige Monate vor seinem Tod, »das Zentralproblem der bildenden Kunst ist und bleibt der Mensch und das Menschliche, das ewige Drama«.

Harald Fiebig
Kurator der Ausstellung

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