Renée Sintenis
Liegender Hund
not dated
Emanzipiert, erfolgreich, wirtschaftlich unabhängig, gebildet, modisch-androgyn gekleidet mit Kurzhaarfrisur und Fahrerin ihres eigenen Autos – die Künstlerin Renée Sintenis verkörpert im Berlin der 1920er und -30er Jahre das Sinnbild der modernen Frau.
Sie pflegt Kontakt zu Ernst Barlach, Rainer Maria Rilke und begegnet Albert Einstein. Georg Kolbe, Emil Nolde und Max Liebermann steht sie Modell, zugleich porträtiert sie ihrerseits Größen wie Joachim Ringelnatz, der ihr langjähriger Freund werden soll.
Von 1908 bis 1912 studiert sie an der Berliner Kunstgewerbeschule, bricht mit Ihrer Familie, um ihren künstlerischen Weg weiterverfolgen zu können. 1915 stellt sie in der Berliner Secession aus, wird bald von der renommierten Galerie Flechtheim vertreten und 1931 als zweite Frau überhaupt in die Preußische Akademie der Künste berufen.
Sie schafft anspruchsvolle Zeichnungen und Druckgrafik, vor allem widmet sie sich aber der Bildhauerei. In dieser damals vornehmlich männlich dominierten Gattung, brilliert sie durch ihr völlig eigenständiges, charakteristisches Werk, das sie – obwohl sie kaum Auftragsarbeiten annimmt – zu einer der bestbezahltesten Künstlerinnen Berlins avancieren lässt. Sie wählt lediglich Motive, die sie innerlich beschäftigen, erschafft Statuetten von Sportlern, zahlreiche Selbstporträts und mythologische Figuren. Als ihr künstlerisches Lebensthema gelten jedoch ihre prägnanten, kleinformatigen Tierdarstellungen. Es gelingt ihr in diesen zarten Plastiken, die zumeist Jungtiere darstellen, das jeweils typische in Bewegung und Haltung der Tiere einzufangen. Das starke Bewegungselement der Figuren kann hierbei gleichgesetzt werden mit der unverdorbenen Lebensfreude, dem unbedarften Übermut und Temperament des jeweiligen Motivs.
Geprägt sind diese Arbeiten außerdem durch eine fast impressionistische Lockerung und Unebenheit in der Oberfläche. Neben den zahlreichen Fohlenplastiken der Pferdeliebhaberin zählt wohl vor allem auch der Berliner Bär zu den bekanntesten Arbeiten der Künstlerin. So begrüßt das von ihr gestaltete tapsige Jungtier nicht nur am Grenzübergang Dreilinden die Besucher der Stadt Berlin, sondern auch in zahlreichen anderen Städten in und außerhalb Deutschlands verweist Sintenis‘ Bärenporträt auf die Entfernung nach Berlin. Die goldenen und silbernen Bären der Berliner Filmfestspiele, aus dessen Gussform auch unser Bärenjungtier entstammt, gehen in alle Welt und selbst John F. Kennedy erhielt bei seinem Berlinbesuch 1963 eine Ausführung dieser besonderen kleinen Bärendarstellung.
Eines der wenigen Themen, die Sintenis neben den Tierdarstellungen sehr reizte – sie schuf es gleich in zwei Fassungen, eine Kleinplastik 1918 und eine große Variante 1930 – ist das literarische Motiv der »Daphne. Bekannt aus Ovids Metamorphosen lässt sich diese mythologische Figur, um dem Verlangen des Gottes Apoll zu entgehen und sich ihre Tugend zu bewahren, unwiderruflich in einen Lorbeerbaum verwandeln. Eben diesen dramatischen Höhepunkt des leidenschaftlichen Mythos, die Metamorphose der Daphne, fängt die Künstlerin in ihrer Bronze ein. Die aufgeraute Oberfläche scheint sich bereits der groben Struktur einer Baumrinde anzunähern, das Haar der schlanken, sich emporreckenden Figur ist bereits in Blattwerk verwandelt und auch im Fußbereich und unter den Armen sprießen bereits die Lorbeerblätter. Die Daphne der Sintenis scheint einerseits in Trauer über den Verlust des Menschseins, andererseits erleichtert, dass sie sich nun ihre Tugend bewahren kann. Diese konträren Empfindungen überlagernd, strahlt die Bronze jedoch durch den sich in sein Schicksal fügenden fließenden Körperbau, den gesenkten Kopf und die geschlossenen Augen eine ungemein starke Ruhe und Gelassenheit aus.
Dass Sintenis nicht nur bildhauerisch ein herausragendes Talent besaß, zeigt sich an den selten zu findenden Zeichnungen der Künstlerin. Sie entstehen nicht etwa als Vorzeichnung zu den Plastiken, sondern parallel oder im Nachgang zu diesen. Auch hier findet sich die für sie typische Motivik, oftmals verspielte Jungtiere, wie auch unser junger Hund eines darstellt. Es gelingt ihr in dieser zurückgenommenen und doch präzisen Tuschezeichnung mittels weniger knapper Linien eine Kontur abzubilden, die die wesentlichen Eigenschaften des Tieres, seine verspielte Unschuld, einfängt.