Alexej von Jawlensky
Kleiner Kopf
ca. 1922
Öl auf Malkarton
17,5 × 14 cm
Signiert mit dem Monogramm
Werkverzeichnis Jawlensky/Pieroni-Jawlensky 1991 Nr. 2248
Fräulein Ehrod, o. O.; Christel Zapfe, Köln (von der Vorgenannten durch Erbschaft erhalten, bis 1958); Galerie Wolfgang Ketterer, Stuttgarter Kunstkabinett, Stuttgart (Auktion 20./21.5.1958); Privatsammlung Frankreich (seit 1958); Privatsammlung Belgien (vom Vorgenannten durch Erbschaft erhalten)
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Herbst 2021", Düsseldorf 2021
- Espace van Gogh, "Alexej von Jawlensky", 3. April - 30. Juni 1993, Arles
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Herbst 2021", Düsseldorf 2021, S. 48
- Maria Jawlensky/Lucia Pieroni-Jawlensky/Angelica Jawlensky, "Alexej von Jawlensky Catalogue Raisonné of the Oil Paintings, vol. 3, 1934-1937", München 1993, Nr. 2248, S. 395
- Espace van Gogh, "Alexej von Jawlensky", Ausst.-Kat., Arles 1993, Nr. 46
»Jawlensky hat den menschlichen Kopf als solchen in eine Sprache des abstrakten Lebens transponiert, hat ihn aus seinem Erdendasein herausgehoben, um die Seele und den Geist zu manifestieren. Die neuen Gesetze, die er dabei gefunden hat, sind mathematische. Er hat die Gesetze der anderen Künste in seine Bilder hineingenommen: die Architektur in den Gleichgewichten der Farben, die Musik in dem klanglichen Rhythmus der Farben, den Tanz als Linie der Farben, die Skulptur als Form der Farben, die Poesie als Inhalt oder als Wort der Verkündigung der Farben, die Malerei aber als symphonische Zusammenfassung.«1
Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges war der gebürtige Russe Alexej von Jawlensky gezwungen, Deutschland zu verlassen. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin Marianne von Werefkin, dem Hausmädchen Helene Nesnakomoff – seiner Geliebten und späteren Ehefrau – sowie dem gemeinsamen Sohn siedelte er in die Schweiz über, wo er sich in St. Prex am Genfer See niederlässt. Mit der Serie der »Variationen über ein landschaftliches Thema«, beginnt er hier eine stringente, serielle Arbeitsweise, die für die Entwicklung seines weiteren Œuvres wegweisend ist. In den »Variationen« verwendet der Künstler von 1914 bis 1917 nahezu ausschließlich immer gleich große Malkartons, auf denen er den Ausblick aus dem Fenster seiner kleinen Stube auf die umgebende Landschaft in nahezu identischer Anordnung wiederkehrend festhält.
Bereits seit 1905 widmet sich Jawlensky dem Portrait. Diese Beschäftigung intensiviert sich ab 1917 und mündet in sein Hauptwerk bestehend aus den Portraitserien der »Mystischen Köpfe«, der »Heilandsgesichter«, der »Abstrakten Köpfe« und schlussendlich der »Meditationen«.
In Zürich, wohin Jawlensky 1917 zieht, entsteht mit dem Portrait von Emilie Esther Scheyer (siehe Abb. S. 50), von Jawlensky später »Galka« (russisch: Dohle) genannt, einer engen Freundin und Förderin, der Anfang der Auseinandersetzung mit dem weiblichen Kopf, der immer weiter vereinfacht und auf das Wesentliche reduziert nach einer Grundform des Portraits sucht. Jawlensky selbst beschreibt seine Hinwendung zu den Portraitreihen als notwendige Weiterentwicklung. »Einige Jahre malte ich diese Variationen, und dann war mir notwendig, eine Form für das Gesicht zu finden, da ich verstanden hatte, daß die große Kunst nur mit religiösem Gefühl gemalt werden soll. Und das konnte ich nur in das menschliche Antlitz bringen. Ich verstand, daß der Künstler mit seiner Kunst durch Formen und Farben sagen muss, was in ihm Göttliches ist. Darum ist das Kunstwerk ein sichtbarer Gott, und die Kunst ist ›Sehnsucht zu Gott‹.«2
1921 zieht Jawlensky nach Wiesbaden, dort entsteht ein Jahr später auch unser farbharmonisches Gemälde »Kleiner Kopf«, ein herausragendes Beispiel aus der Werkgruppe der »Heilandsgesichter«.
Das Gesicht ist fast bildfüllend auf hellem Grund und in zarten Farben wiedergegeben, die großen Augen sind geschlossen. Ein grüner Halbkreis bildet die Kinnlinie, darüber beschreiben zwei parallele Striche in Gelb und Rosa den geschlossenen, ausdruckslosen Mund. Die Nasenlinie, die in die linke Augenbraue mündet, besteht aus zwei nebeneinanderverlaufenden grünen und orangeroten Linien. Die geschlossenen Augen beschreiben zwei schwarze, leicht geschwungene Balken. Darüber sind die Haare, in einzelnen Strähnen angedeutet. Ein gelber und ein rosafarbener Kreis lassen sich als Wangen lesen. Einzelne Partien sind in hellen, zarten Pastelltönen koloriert. Trotz der strengen formalen Reduktion strahlt es größte Präsenz aus. Das kleine Format unterstreicht den Eindruck von Intimität und verstärkt den meditativen Charakter des Werkes. Insgesamt sehen wir in diesem zarten Gemälde ein wunderbares Beispiel für die gelungene Reduktion auf die ganz wesentlichen, physiognomischen Grundbausteine wie Diagonale, Senkrechte und Kreis und die Umsetzung in farbharmonischer Perfektion.
1 Emmy Scheyer, zitiert nach Clemens Weiler, »Alexej Jawlensky«, Köln 1959, S. 106.
2 Clemens Weiler, »Alexej Jawlensky«, Köln 1959, S. 102f.