Max Ernst
Arizona rouge
1955
Öl auf Holz
24 × 33 cm | 9 1/2 × 13 in
Signiert
Werkverzeichnis Spies/Metken 1998 Nr. 3161
Sammlung Aram D. Mouradian, Paris; Sotheby's New York (1990); Privatsammlung New York
- Galerie Ludorff, "Nach der Natur", Düsseldorf 2017
- Peter Blum Gallery, "Kindred Spirits. Native American Influences on 20th Century Art", New York 2011/12
- Galerie Ludorff, "Nach der Natur", Düsseldorf 2017, S. 63
- Peter Blum Gallery, "Kindred Spirits. Native American Influences on 20th Century Art", New York 2011, S. 149
- Werner Spies/Sigrid Metken/Günter Metken, "Max Ernst Œuvre-Katalog Werke 1953-1964", Bd. VI, Houston/Köln 1998, Nr. 3161
- Edward Quinn, "Max Ernst", Zürich/Freiburg i. Br. 1976, Nr. 353
- Sarane Alexandrian, "Dictionnaire de la peinture surréaliste", Paris 1973, S. 60
- Jean Saucet (Hg.), "Max Ernst", Berlin 1971, S. 60
Die surrealistische Suche nach irritierenden, komplexeren Bewusstseinszuständen bestimmt auch in Sedona, im amerikanischen Staat Arizona, das Verhältnis von Max Ernst zu der ihn umgebenden Natur. Die grandiosen und gigantischen Landschaften, die Canyons und Felsformationen und die Kultur der umliegenden Indianerstämme beeindrucken ihn tief. Ernst selbst resümiert: „Dort fand ich die Landschaft wieder, die mir immer vorgeschwebt hatte und die auch schon in meinen frühen Bildern immer wieder zu finden ist.“1) 1943 verbringt Ernst zusammen mit seiner späteren Frau Dorothea Tanning Sommer und Herbst in Sedona. 1946 kauft er sich hier ein Stück Land und lebt in dieser Wildnis bis zu seiner Rückkehr nach Europa 1953.
Mitte der fünfziger Jahre lässt sich Ernst in der französischen Provinz Touraine nieder, wo vermutlich auch unser Bild „Arizona rouge“ ensteht – also weit entfernt von der Landschaft, die ihn zeitlebens so fasziniert hat und die Titelgeberin unseres meisterlichen Gemäldes ist. Auf dem Bild sieht man im Vordergrund die charakteristischen Gebirgsketten des mittleren Westens. Hoch türmen sie sich auf und bilden schroffe Formationen aus, deren Spitzen teilweise horizontal abgekappt sind. Im leuchtenden Rot der Dämmerung strahlen die Berge und wirken wie unwirkliche Zeugen einer weit entfernten Welt. Über ihnen baut sich der Himmel in Streifen von Gelb über Orange bis hin zu Rot auf. Ein kleiner leuchtender Sonnenball steht über der Horizontlinie der glühenden Felsen. Hier entsteht jedoch sicherlich kein einfaches Erinnerungsbild vergangener Tage. Zwischen der großartigen Wildnis des amerikanischen Westens und der nieseligen Milde der Tourainer Friedsamkeit gibt es kein gemeinsames Maß. Ernst nimmt vielmehr, wohin er auch geht, seine Welt mit. Genauso wie er die Landschaft von Arizona in seinen Bildern schon antizipiert hat, bevor er sie überhaupt kannte. Ernst bleibt nicht auf eine Heimat, auch nicht auf eine eurozentrisch-kulturelle Vorstellung fixiert. Die Verse aus seinem Gedicht „Schnabeltier“ zeigen, wie wenig Verwurzelung und Kataster in dieses Leben und Werk passen: „Wo vor Jahren ein Haus stand/da steht jetzt ein Berg/wo vor Jahren ein Berg stand/da steht jetzt ein Stern“.2) Man trifft in Ernsts Werk immer wieder auf eine solche Faszination durch Weltlandschaften, die den anthropozentrischen und geschichtlichen Bezug in den Hintergrund rücken.
Ebenso ist die Suche nach der stilistischen Einheit im Gesamtwerk von Ernst vergeblich. Was zählt, ist die Methode. Das Werk ist das Ergebnis überschaubarer technischer Manipulationen und kombinatorischer Verfahren. Bewusst konzipiert, dem Zufall Raum gebend, ist es als Resultat vieldeutig und damit ein Anspruch an die assoziativen Möglichkeiten des Betrachters. Ernst ist nicht der Maler von Träumen und unbewussten Abgründigkeiten, für den er oft gehalten wird. In Kenntnis der Mechanismen von Traum, Witz, Unterbewusstsein treibt er sein bildnerisches Spiel mit historischen Bezügen, künstlerischen Querverweisen, psychologischen Verquickungen und bestimmten Verfahrensweisen: er kombiniert disparate Zivilisationsbereiche und Realien oder lädt verfremdete Gegenstände und Strukturen neu auf, um trotz allen Zweifels an der Möglichkeit von Kunst ästhetische Gebilde zustande zu bringen, die nicht nur ihn selbst angehen. Ernst ist ein intellektueller Künstler. Er verarbeitet Historie, wobei seine Bezüge zum Manierismus und zur Romantik besonders deutlich zutage treten. Die Vorliebe für Dämmerungszustände, die Ernst mit Romantikern wie C. D. Friedrich teilt, bekundet ihren gemeinsamen Hang zur Sphäre des Traumhaften und Irrealen. So wird der Übergang vom Wachen zum Träumen, aber auch der Kreislauf von Werden und Vergehen, der Rhythmus der Gezeiten als Metapher für Geburt und Tod symbolisiert. Nur durch die Reaktivierung des verdrängten, chaotisch-untergeordneten Naturpotentials lässt sich die verlorene Identität des Menschen, die Ganzheit seiner Existenz wieder herstellen, eine These, die schon in der Romantik nachdrücklich vertreten wurde.
Anm.:
1) Max Ernst in: H. Reinhardt, „Das Selbstporträt“, Hamburg 1967, S. 68.
2) Max Ernst, „Skulpturen, Häuser, Landschaften“, Ausst.-Kat., Düsseldorf 1998, S . 11.