Christopher Lehmpfuhl
Frühlingsschatten
2022
»Nicht die Suche nach dem neuen oder spektakulären Motiv ist für den Künstler entscheidend, sondern die malerische Auseinandersetzung, der lustvolle und kreative Malprozess selbst.«1
Bereits während seines Studiums bei Klaus Fußmann verschreibt sich der Plein-Air-Maler Christopher Lehmpfuhl der traditionellen Sujets Stadt- und Landschaftsmalerei, denen er heute nicht nur in Berlin und Umgebung, sondern in der ganzen Welt nachgeht. Fernab romantisierender Schönheit, sucht Lehmpfuhl den direkten Kontakt zu den Naturgewalten.
»Schon immer verspürte ich den Drang, draußen, unmittelbar vor dem Motiv zu arbeiten. Die Ausstrahlung des Ortes spielt eine entscheidende Rolle, ebenso wie das Wetter. Bei Sturm oder anderen äußeren Einflüssen […] arbeite ich beispielsweise viel expressiver und damit pastoser als bei Windstille. Überall sehe ich Bewegung, Raumtiefen, Formen und unterschiedlichste Lichttemperaturen.«2
Die körperliche Erfahrung des Arbeitens in der freien Natur spielt eine außerordentliche Rolle für ihn. Den Witterungsbedingungen ausgesetzt, versucht Lehmpfuhl mittels teilweise schwerer körperlicher Arbeit, den Elementen eine greifbare Form zu geben. Ohne Vorstudie oder Skizze konzipiert Lehmpfuhl das Werk mental, indem er vorher die Gegenden durchwandert, die er für seine nächsten Werke anvisiert und dort im wahrsten Sinne des Wortes das Motiv, den entsprechenden Ausschnitt ins Auge fasst.
Die Tradition der deutschen Impressionisten wie Max Liebermann, Max Slevogt oder Lovis Corinth aufgreifend, denen sich Lehmpfuhl sehr verbunden fühlt, ist es sein Streben, die wechselvollen Lichtstimmungen im Freien einzufangen. Anders jedoch als die Vertreter:innen der Klassischen Moderne, fühlt er sich keinerlei Realismus verpflichtet. Dick aufgetragene Farbe türmt sich zu reliefartigen Strukturen auf, die weit aus dem Bild herausragen. Es bilden sich temperamentvolle Farbstreifen, die den Bildgegenstand in die völlige Abstraktion auflösen. Oft geben sich der Ort und dessen Konturen erst aus der Distanz zu erkennen.
Seine individuelle Handschrift und Technik spielen dabei eine große Rolle: Er malt nicht mit Pinsel und Palette, sondern trägt die Farbe direkt mit den Fingern auf der Leinwand auf. Die Ölfarbe mit der Hand statt dem Pinsel aufzutragen verändert den Modus des Malens hin zu einem plastischen Modellieren mit Farbe, wodurch das Bild nahezu objekthaften Charakter gewinnt. Er selbst prägt dafür den Begriff des »haptischen Pleinairismus«.
Durch die besonders expressive Farbstruktur auf der Leinwand, dem reliefartigen Hoch und Tief der pastosen Farbmaterie (vgl. Detail am Ende des Katalogs S. 139) werden die Betrachter:innen aufgefordert, das Werk gänzlich zu erkunden. Aus der Nähe lassen sich beeindruckende Furchen, Hervorkragungen, Überlagerungen und Spuren der Finger erkennen. Auch landen häufig Mitbringsel aus der Natur wie Dünengras, Sand, Erde, kleine Äste oder Blätter in der nassen Farbe. In der extremen Nahsicht vereinen sich die vielen kleinsten Farbstränge zu Farbwerten, die man aus der Ferne überprüft und feststellt, dass das Handwerk von Christopher Lehmpfuhl nicht nur sehr individuell, sondern auch als meisterlich bezeichnet werden muss.
Es ist genau dieses Spiel aus Abstraktion und Gegenständlichkeit, das Christopher Lehmpfuhls Arbeiten auszeichnet, diesen Balanceakt immer wieder aufrechtzuerhalten, ohne vollständig in dem jeweils einen aufzugehen. Auch in unseren Gemälden werden die Betrachter:innen unmittelbar in die Landschaft gesogen, die sich in pastosen Farbbergen auf der Leinwand auftürmt. Einzelne Motive erheben sich als haptische Reliefs vor flacheren Hintergründen, die wie eine Bühne fungieren. Wie der Maler selbst, erleben wir das landschaftliche Schauspiel in all seiner Intensität, wir werden Teil der ekstatischen Form- und Farbhymne an die Natur.
1 Erika Maxim Lehmpfuhl in: »Christopher Lehmpfuhl. Das kleine Format«, Ausst.-Kat. Galerie Ludorff, Düsseldorf 2013.
2 Christopher Lehmpfuhl über seine Malerei in einem Interview 2012 (http://www.augustinpr.de/tl_files/AugustinPR_Theme/Dokumente/121017_Pressemappe_Lehmpfuhl_Berlin-Plein-Air.pdf" aufgerufen am 22.1.2013).