Emil Nolde
Abendliche Marschlandschaft
ca. 1935/40
Aquarell auf Japanpapier
35,1 × 46,8 cm
Signiert
Prof. Dr. Manfred Reuther, ehemaliger Direktor der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde
Jolanthe Nolde; Privatsammlung Süddeutschland; Privatsammlung Nordrhein-Westfalen
- Galerie Ludorff, "Nach der Natur", Düsseldorf 2017
- Heidelberger Kunstverein, "Emil Nolde – Gemälde, Aquarelle, Graphik", Heidelberg 1958
- Galerie Ludorff, "Nach der Natur", Düsseldorf 2017, S. 37
- Heidelberger Kunstverein, "Emil Nolde – Gemälde, Aquarelle, Graphik", Ausst.-Kat., Heidelberg 1958, Nr. 29
Im Œuvre Emil Noldes sind die Regionen des Nordens an der See ein immer wiederkehrendes Motiv. Schon von jungen Jahren an beeinflussen die Natur und die Reize seiner Heimat den Maler in seinem künstlerischen Schaffen. Nach langem Suchen erwirbt Nolde südlich der Grenze zu Dänemark eine Warft mit Bauernhof in Seebüll. Hier lässt er sich nach seinen Entwürfen von 1927 bis 1937 ein Wohn- und Atelierhaus errichten. Ein Jahr nach seinem Tod wird 1957 hier das Nolde-Museum eröffnet.
In Seebüll entstehen einige seiner schönsten, großformatigen Aquarelle, zu denen auch unser Blatt „Abendliche Marschlandschaft“ gehört. In den Dämmerstunden, nahe dem Meer fängt der Künstler die Stimmung des nordischen Landstriches unweit der dänischen Grenze ein. Eingebettet in die weite Landschaft liegt am Horizont eine Mühle, davor breiten sich die satten Felder und Hügel aus. Die letzten Sonnenstrahlen werden von den Wolken zurückgehalten, aber nicht zur Gänze absorbiert. Am oberen linken Bildrand flammen noch einmal die orangefarbenen Strahlen der untergehenden Sonne hindurch. Der Horizont ist in ein intensives Violett getaucht und kündigt die unmittelbar bevorstehende Nacht an, die in den dunkelblauen Wolken und dem tiefgrünen Boden der Marsch bereits ihren farblichen Niederschlag gefunden hat. Durch die Verwendung von Grün, Blau, Rot und Gelb, die sich erst auf dem Papier in intensiven Farbverläufen vermischen, steigert Nolde die Leuchtkraft jeder einzelenen Lokalfarbe und hierdurch die Expressivität des ganzen Blattes. Nolde vermag es, in virtuoser Manier die außerordentliche Dramatik des Erlebten zu schildern und den Betrachter an seinen Gefühlen und Assoziationen teilhaben zu lassen. „Gelb kann Glück malen und auch Schmerz. Es gibt Feuerrot, Blutrot und Rosenrot. Es gibt Silberblau, Himmelblau und Gewitterblau. Jede Farbe trägt in sich ihre Seele, mich beglückend oder abstoßend oder anregend.“1)
Nolde malt sein Bild in der Naß-in-Naß-Technik, welche die Spontaneität und Unmittelbarkeit des Künstlers herausfordert. Seine Aquarelle entstehen ohne Vorzeichnung. Als Untergrund wählt Nolde saugfähiges Japanpapier, welches vor dem Farbauftrag angefeuchtet wird. Mit vollgetränktem Pinsel bringt er die reinen Aquarellfarben auf das nasse Papier auf. Schnell breitet sich die Farbe aus. Nach dem Trocknen übermalt er seine Arbeiten in leichtem Farbauftrag, um einzelne gegenständliche Details hervorzuheben. „Der Maler braucht nicht viel zu wissen, schön ist es, wenn er unter instinktiver Führung so zielsicher malen kann, wie er atmet, wie er geht.“2) Bei Nolde ist die Farbe nicht nur Träger seelischer Empfindungen, sie ist vielmehr als formbildende, gestaltende Kraft zu verstehen. Noldes Landschaften zählen zu den wichtigsten Schöpfungen seines umfangreichen Werks. Sie faszinieren den Betrachter immer wieder durch ihre Farbenpracht, die der Aquarellist meisterhaft auf das Papier bannt.
1 Emil Nolde zit. in: Martin Urban, „Emil Nolde – Landschaften. Aquarelle und Zeichnungen“, Köln 1980, S. 16.
2 Emil Nolde zit. in: Ausst.-Kat., „Emil Nolde – Aquarelle und Graphik“, Leipzig 1995, S. 15.