Emil Nolde
Sonnenblumen
um 1928
Aquarell auf Japanpapier
33,3 × 46,51 cm
Signiert und rückseitig "Wir Sonnenblumen neigen uns herzlichst vor dem Silberhochzeitspaar, - u grüßen von Ihren A. u E.N." beschriftet
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Prof. Dr. Manfred Reuther, ehemaliger Direktor der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde
Privatsammlung Schweiz (1929 direkt vom Künstler als Silberhochzeitsgeschenk); Christie's, London, 8. Oktober 1998, lot 38; Privatsammlung London
- Galerie Ludorff, Neuerwerbungen Frühjahr 2021, Düsseldorf 2021
- Galerie Ludorff, "Meisterwerke", Düsseldorf 2020
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Frühjahr 2021", Düsseldorf 2021, S. 122
- Galerie Ludorff, "Meisterwerke", Düsseldorf 2020, S. 110
Im April 1937 hatten Emil und Ada Nolde von Berlin aus zum 70. Geburtstag des Malers am 7. August weit über hundert Gäste zu einem großen Fest nach Seebüll eingeladen, ein wichtiger, nachdenklicher Lebensabschnitt für das Künstlerpaar: Mehr als ein Jahr zuvor hatte Nolde eine bedrohliche Erkrankung mit der Operation an Magenkrebs überstanden; der langwierige Bau des Wohn- und Atelierhauses Seebüll hatte nach zehn Jahren mit der Aufstockung durch den Bildersaal, der dem Maler »die Erfüllung eines Lebenswunsches« bedeutete, seinen Abschluss gefunden. Doch eingeschüchtert durch die Aktion »Entartete Kunst«, die Ende Juni einsetzte und in der über tausend Arbeiten von Nolde in deutschen Museen beschlagnahmt wurden, wurde die geplante Geburtstagsfeier auf Bedenken von guten Freunden abgesagt. »Allem trotzend dennoch kamen einige«, berichtet Nolde. »Auf unserer sogenannten ›Festwiese‹ war« im sommerlichen Garten von Seebüll »neben den hochgewachsenen Staudenblumen ein langgedeckter Tisch mit 70 Lichtern darauf, daran [saßen] meine ländlichen Verwandten, einige Geschwister meiner Ada und die zugereisten Freunde«. Und er fährt fort: »Ich glaube, sie waren alle hier gern, obwohl die Münchner Ereignisse mit der Diffamierung meiner Bilder wie ein dunkler Schatten über uns und allem lasteten«. Dies sagt er trotz seiner Verflechtungen in das System und bei allen Widersprüchlichkeiten seiner deutlichen Hinwendung zur nationalsozialistischen Ideologie.
Die Ausstellung »Entartete Kunst«, in der Nolde mit 48 Werken am stärksten vertreten war, war am 19. Juli in München eröffnet worden. Gemeinsam mit dem Musiker Horst-Günther Schnell, ihrem späteren Mann, hat die Schriftstellerin Luise Rinser dieses gemein inszenierte Spektakel besucht. In einem langen Brief vom 22. August (Archiv Seebüll) an Nolde berichtet sie: »Wir betrachten es bei allem Leid doch als großes Glück, so viele Ihrer Bilder beisammen zu sehen – vielleicht zum letztenmal für eine lange Zeit! Ich kann Ihnen auch sagen: Von all den Hunderten von Menschen, die Ihre Bilder sehen, hört man kaum ein abfälliges Wort. Viele Gesichter sind stumm und bewegt und ergriffen. Viele Ausländer auch!« Und sie schließt: »Alle meine guten Wünsche für Sie und Ihre liebe Frau und Ihr Haus und Ihren Garten mit dem Sonnenblumenwald! Ihre Luise Rinser«.
Im Laufe dieser Wochen, wohl im August, wird das Gemälde Sonnenblumen mit Fuchsschwanz entstanden sein, ein bewegtes, lebhaftes Werk von dunkler Stimmung, doch klar gefügter Komposition, das zu einer Gruppe von drei weiteren Sonnenblumenbildern des Jahres 1937 gehört. Die Darstellung wird bestimmt von einem großen, leuchtend gelben Sonnenblumenkreis in der rechten Hälfte als festem Gebilde, begleitet von der lockeren Abfolge heller Blütenscheiben am Rand entlang und bildnerisch geleitet durch ein verschachteltes Bezugssystem. Zur linken Seite bildet das schwere Rispengehänge der dunkelroten Fuchsschwanzblüten einen ausgeprägten Kontrast und formt sich zu einer geschlossenen Bildeinheit. In Noldes Verzeichnis seiner Gemälde ist als Erstbesitzer Adas jüngster Bruder Aage Vilstrup aufgeführt, der das Bild vielleicht schon von der Geburtstagsfeier nach Kopenhagen mitgenommen haben mag.
Aquarelle vielfältiger Art begleiten die Entwicklung und schließen sich an. Im Frühjahr 1927 waren Emil und Ada Nolde von ihrem Wohnsitz »Utenwarf« auf dänischer Seite am Ruttebüller Tief über die neu festgelegte Grenze nach Seebüll gezogen; Veränderungen in der Umwelt hatten sie vertrieben. Nach langem Suchen hatten sie fast in Sichtweite die hohe, leer stehende Warft von Seebüll gefunden. Mit dem Bau seines Hauses hatte der Maler auch die Gartenanlage entworfen, die mühsam dem Marschland abgerungen werden musste. Der schwere Kleiboden wurde aufgebessert, Entwässerungsgräben wurden gezogen und zum Schutz gegen den ständigen Wind und den Sturm hohe Reetwände errichtet, Hecken, Büsche und Bäume gepflanzt. »Grüße will ich Dir senden von unserem jungen Garten mit seiner schwellenden Blumenfülle, so schön wie niemals zuvor wir es hatten«, schreibt Nolde im September des folgenden Jahres seinem Schweizer Freund Hans Fehr. »Die Sonnenblumen steigen so hoch und ich mit rückwärts gebeugtem Nacken stehe der Schönheit dankbar staunend davor. Es waren hier eine Reihe schönster Tage, kaum fassbare Farben glühen und der Resedaduft wird getragen bis ans Haus hinan.«
Abgesehen von der großen Zahl an Aquarellen befinden sich unter Noldes Gemälden annähernd vierzig, die sich speziell dem Sonnenblumenthema widmen. Die Folge beginnt um 1926 auffallend mit dem Umzug nach Seebüll, mit Höhepunkten um 1928, um 1936/1937, wieder 1943 und reicht bis zu einem späten, fast letzten Gemälde von 1950. Dieses Bildmotiv in seinem Werk, wie jüngst erörtert, mit nationalsozialistischen Vorstellungen und Gedanken zu verknüpfen, ist ein mehr abwegiges Unterfangen. Emil Nolde greift mit dieser Motivwahl neben dem engen, persönlichen Erlebnis ein eigenes, symbolhaltiges Thema der Kunst auf, das in der Moderne einen gewissen Vorzug erfahren hat. Nach dem Holländer Vincent van Gogh, mit dem dieses Motiv in besonderer Weise zu verbinden ist, hat es außer Nolde kaum ein anderer Maler so vielseitig behandelt und bis ins hohe Alter verfolgt.
Manfred Reuther
ehemaliger Direktor der Stiftung Ada und Emil Nolde, Seebüll