Hermann Hesse
Blühender Kirschbaum
1934
Aquarell über Bleistift auf Papier
Darstellung: 27 × 23,5 cm
Blatt: 31,5 × 23,5 cm
Datiert "12. April 34" am unteren Blattrand sowie auf dem Unterlagekarton betitelt, "b. Montagnola 34" beschriftet und "Bruno Hesse CH 3399 Oschwand" sowie "Christine Widmer Hesse" gestempelt
Atelier des Künstlers; Privatsammlung Schweiz durch Erbfolge (direkt vom Künstler)
- Galerie Ludorff, Neuerwerbungen Frühjahr 2022, Düsseldorf 2022
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Frühjahr 2022", Düsseldorf 2022, S. 53
Dass der Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse nicht nur ein Schriftsteller von außerordentlicher Begabung, sondern auch ein talentierter Maler war, ist vielen aus seiner Leserschaft nicht bekannt.
Erst im Alter von 40 Jahren und im Zuge der Ereignisse des Ersten Weltkrieges beginnt Hesse mit neuen Ausdrucksmitteln zu experimentieren und entdeckt seine Leidenschaft für die Malerei. Insbesondere nach seiner Übersiedlung in das nahe des Luganer Sees gelegene Dörfchen Montagnola im Tessin, gelingt es ihm, ab 1919 als Autodidakt ein umfassendes malerisches Œuvre zu schaffen. In den Folgejahren entstehen farbintensivleuchtende, meist kleinformatige Aquarelle und zahlreiche Gedichtillustrationen.
Dass in der reinen, freundlichen Farbigkeit seiner Aquarelle, die sich zumeist thematisch mit der Landschaft seiner neuen Wahlheimat beschäftigen, ein bewusstes Entgegenwirken und Verarbeiten der tiefen Krise und Depression nach dem Krieg Ausdruck finden, zeigt sich auch in folgendem Briefausschnitt des Künstlers an die Schriftstellerin Helene Welti:
»Auch jetzt wieder habe ich seit Anfang Juni, mit sehr seltenen Unterbrechungen, Tag um Tag gemalt, bin meinen Tessiner Dörfern und Bergen gegenübergesessen und habe ihnen in Farben meine Liebe, meine Dankbarkeit ausgesprochen und habe, zu meiner eigenen Überraschung, trotz üblem Befinden und tiefen Depressionen auch diesen Sommer überdauert und oft meine Freude gehabt.«1 Zu Beginn widmet Hesse den Erlös aus seiner Malerei der Kriegsgefangenenfürsorge, später unterstützt er mit den Verkäufen seiner illustrierten Gedichtzyklen Emigranten und bedürftige Kollegen. Ganz ähnlich seiner Poesie liegt es Hermann Hesse auch in der Malerei fern, die reine Wirklichkeit abbilden zu wollen. Viel eher möchte er ein märchenhaftes Ideal in seinen Bildern erschaffen. Mehr und mehr geht es ihm in seinen Aquarellen darum, die Formen der Erscheinungswelt auf freie Weise zu paraphrasieren und seinen Empfindungen beim Anblick des Motivs Ausdruck zu verleihen.
So sind bereits seine Aquarelle aus den Anfängen der 1920er Jahre stark abstrahiert, sodass Architektur und Pflanzen zu Farbklängen vereinfacht und als kubistische, flächige Kompositionen angelegt sind. Es folgt sogar eine Phase, in der Hesse mit farbigen Mosaikelementen experimentiert und in diesem Zuge bunte, an Werke der Moderne erinnernde Pyramiden, Quadrate und Rechtecke zu Landschaften arrangiert.
Er entwickelt auf diese Weise eine klare, reduzierte Handschrift, die unter anderem auch von dem oft in Montagnola zu Besuch geladenen Maler Louis Molliet, dem Reisegefährten von Paul Klee und August Macke auf deren Tunisreise, beeinflusst wird. Ob mit zartem Bleistift konturiert, wie in den Aquarellen »Häuserdächer Montagnola« und »Blühender Kirschbaum« oder, wie in den vorliegenden Gedichtillustrationen, mit akribischer Federzeichnung grafisch moduliert: Mit beiden Techniken gelingt es Hermann Hesse, seinen Motiven durch Variation in den Farbflächen, die Ruhe und Gelassenheit zu verleihen, die er selbst beim Malen wohl empfunden und gezielt gesucht hat.
1 Hermann Hesse an Helene Welti am 25.9.1926, in: Hermann Hesse, Gesammelte Briefe, in Zusammenarbeit mit Heiner Hesse hg. von Ursula und Volker Michels, 4 Bde., Frankfurt am Main 1973.1986, Bd. 2, S. 150.