Christian Rohlfs
Sonnenuntergang am Lago Maggiore
1929
Wassertempera auf Bütten
57 × 76,3 cm
Signiert mit dem Monogramm und "29" datiert
Aufgenommen in den Nachtrag des Werkverzeichnisses unter der Nr. CR 453
Prof. Dr. Paul Vogt, Essen
Privatsammlung Süddeutschland
- Galerie Ludorff, "Christian Rohlfs. Magie der Farben", Düsseldorf 2013
- Ernst Barlach Haus, "Christian Rohlfs - Magie der Farben", Wedel 2013
- Galerie Ludorff, "Meisterwerke des Expressionismus", Düsseldorf 2011/2012
Das Jahr 1927 bringt für Christian Rohlfs eine wichtige räumliche Veränderung, die sich prägend auf das Schaffen des inzwischen schon fast achtzigjährigen Künstlers auswirkt. Er verlässt die Stadt Hagen, die seit der Jahrhundertwende den Dreh- und Angelpunkt seines Wirkens markiert, begibt sich auf Reisen und hält sich aus gesundheitlichen Gründen erstmals für kurze Zeit im schweizerischen Ascona im Nordwesten des Lago Maggiore auf. Ab 1929, dem Entstehungsjahr der Temperaarbeit "Sonnenuntergang am Lago Maggiore“, verbringt er schließlich den Großteil des Jahres in diesem Kurort im Tessin. Direkt am See bezieht Rohlfs eine Wohnung in der Casa Margot, von deren Terrasse aus sich ihm ein wunderbarer Blick über die von sanften Bergen gerahmte Wasserlandschaft eröffnet. Hatte er zunächst befürchtet, dass der Ortswechsel einen ungünstigen Einfluss auf sein Schaffen ausüben würde, erwies sich dies ganz im Gegenteil als bereichernde Inspiration. Die spezifische Helligkeit des Südens führt ihn tief hinein in die Auseinandersetzung mit der bildnerischen Darstellung des Lichts aus der Farbe heraus.1)
Die Komposition der hier vorliegenden Arbeit entspringt allein einer intensiv leuchtenden Farbigkeit: Das Inhaltliche tritt zugunsten einer flammenden Lichterscheinung zurück. Rot-, Blau- und Grüntöne überziehen die gesamte Bildfläche, sie überlagern und durchdringen sich wechselseitig und erzeugen eine vibrierende, anregende Atmosphäre. Nur ein schmaler, gleißend heller Lichtstreifen trennt Himmel und Wasserfläche, die scheinbar eins geworden sind. Die Formen verschwimmen und schimmern im Dunst der sich neigenden Sonne, die sich auf der Wasseroberfläche glitzernd spiegelt: Licht dringt in die Farben ein, bringt sie zum Leuchten und erwirkt ein transparentes Erscheinungsbild, losgelöst von aller irdischen Schwere.2) Diese derart angestrebte Immaterialität, welche die innere Vorstellung des Künstlers mit dem optisch Erlebten zu einer neuen Bildwirklichkeit verdichtet, führt Rohlfs zu einer starken Abstraktion der realen Welt, die dennoch allzeit den Ausgangspunkt seines Schaffens bildet. Nicht durch die genaue Abbildung ihrer Formen, sondern durch die Kraft der Farbe wird sie auf der Bildfläche zum Leben erweckt.
Dass sich Rohlfs dabei nicht von Konventionen oder althergebrachten künstlerischen Traditionen beirren lässt, manifestiert er bereits 1911: „Das ein Kunstwerk Persönlichkeit hat das ist die einzige Forderung die Berechtigung hat alles andere sind Professorenregeln, beengen den Künstler und führen ihn manchmal in völlige Verwirrung.“3)
Altmeisterlich in der Genre- und Historienmalerei begonnen – ausgehend von der Ausbildung an der Weimarer Akademie – wandeln sich seine Arbeiten durch die Orientierung an der Pleinairmalerei der Schule von Barbizon und unter dem Einfluss impressionistischer Tendenzen hin zu einer eigenständigen Form des Expressionismus. Die Bekanntschaft mit Emil Nolde und den „Brücke“-Künstlern bestärkt ihn zudem in seinem Streben, sich vom Naturabbild zu lösen, um zu einer Ausdrucksfarbe und -form zu gelangen. Frei und unbekümmert agiert Rolhfs, der sich bis ins hohe Alter auf einer künstlerischen Wanderschaft befindet, fortan bei der Verwendung seiner Malmittel. Davon zeugt eindrücklich die Temperaarbeit „Sonnenuntergang am Lago Maggiore“. Sie führt vor Augen, zu welch eigenständiger, sinnlicher Farbmalerei Rohlfs in seinem in Ascona geschaffenen Spätwerk findet. „Er will das Größte einfach sagen; die Farben werden zu Symbolen der Undinglichkeit einer gleichnishaft empfundenen Welt.“4)
Anm.:
1) Vgl. Hubertus Froning, „Von der äußeren Wirklichkeit zum inneren Bild”, in: Reinhold Happel (Hg.), „Christian Rohlfs – Aquarelle, Temperablätter, Zeichnungen, Graphik“, Braunschweig 1992, S. 15.
2) Vgl. Paul Vogt (Hg.), „Christian Rohlfs. Oeuvre-Katalog der Gemälde”, Recklinghausen 1978, S. 20.
3) Christian Rohlfs in einem Brief an Gertrud Osthaus, München 26.November 1911, zit. in: Birgit Schulte (Hg.), „Christian Rohlfs – Musik der Farben“, Ausst.-Kat., Hagen 2009, S. 20.
4) Paul Vogt, „Christian Rohlfs“, Recklinghausen 1958, S. 11.