Emil Nolde
Abendlandschaft mit Mühle
ca. 1925
Aquarell und Tusche auf Japanpapier
47,8 × 35 cm
Signiert
Prof. Dr. Manfred Reuther, ehemaliger Direktor der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde
Kunstkabinett Stuttgart (bis 1956); Privatsammlung Rheinland
- Stadtmuseum Lindau, "Emil Nolde. Der ungezähmte Strom der Farbe", Lindau 2015
- Galerie Ludorff, "Meisterwerke des Expressionismus", Düsseldorf 2011/2012
- Stadtmuseum Lindau (Hg.), "Nolde. Der ungezähmte Strom der Farbe – Aquarelle, Ölgemälde und Grafik von Emil Nolde", Ausst.-Kat., Lindau 2015, S. 41
Im Sommer 1916 erwerben Ada und Emil Nolde das kleine Bauernhaus Utenwarf an der Wiedau in der Nähe von Tondern in Nordfriesland. „Der Garten auf Utenwarf, in seiner der Sonne schräg zugewandten Lage die Warft hinab, war besonders schön zugewachsen und selten blumenreich. Die leuchtendroten Rosen lagen in Wellen den Südhang hinunter, und oberhalb um den schmalen Teich, der ganz voller Fische war, blühten die schönsten Stauden. Er war eine Sehenswürdigkeit geworden. ,Ein kleines Paradies‘, sagte man. Ein ganz kleines Paradies!“1) In den Zwanziger Jahren malt der Künstler eine Vielzahl an Aquarellen, in denen er die fruchtbare Marschlandschaft um Utenwarf in den verschiedensten Tages- und Abendstimmungen festhält. In diesen intensiven Zeugnissen des flachen Landstriches am Übergang von Festland und Meer mit seinen Bauernhäusern, Mühlen und dem weiten Horizont gelingt es Nolde, seine Malweise noch zu verdichten und uns in größtmöglicher Intensität von dem erlebten Naturschauspiel zu berichten.
Unser in feurigen Tönen gehaltenes Blatt „Abendlandschaft mit Mühle“ ist ein Zeugnis aus der Zeit in Utenwarf. Zu sehen ist eine Mühle mit dem dazugehörigen Gehöft. Der glutorangefarbene Abendhimmel und die dunkelblauen Wolken spiegeln sich mit der Mühle im Wasser. Die kontrastierenden Farbschichtungen ergeben eine elektrisierende Wirkung, der sich der Betrachter nur schwer entziehen kann. Es entsteht eine ambivalente farbliche Balance aus reflektierendem Weiß, feurigem Orange, dem tief schimmernden Violett und den dunkleren Tönen im Bild, die uns in absolut meisterlicher Manier an der subjektiven Empfindung des Künstlers teilhaben lassen.
In unserem Aquarell wird Noldes großes Interesse an den Urkräften der Natur und am leuchtenden Farbspiel aus Wolken, Himmel, Meer und Licht verdeutlicht. Die wechselnden Windstäken, das Wolkengeschiebe und die unvermuteten Wetterwechsel lassen überraschende und gegensätzliche Abfolgen, wie Regen, dann Hagel, dann Sonne, Windstille oder Wärme entstehen und erzeugen die in Norddeutschland ganz spezifischen und imposanten Himmelsformationen.
Anm.:
1) Emil Nolde, „Mein Leben“, Köln 2008, S. 361.