Ernst Ludwig Kirchner

Sitzende Frau mit einem Hut in einem Restaurant
ca. 1912

Ernst Ludwig Kirchner, Sitzende Frau mit einem Hut in einem Restaurant

Aquarell, Deckfarben und Bleistift auf Papier

34,2 × 27 cm

Signiert und rückseitig "KA 18" und "Leihgeber: F. Gygi Florastrasse 6" bezeichnet

Dieses Werk ist im Ernst Ludwig Kirchner Archiv Wichtrach/Bern dokumentiert

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Provenienz

Sammlung Gervais, Zürich/Lyon [= Nachlass des Künstlers]; Sammlung F. Gygi, Bern (seit 1948, gekauft bei Arnold Rüedlinger in der Kunsthalle in Bern anläßlich der Ausstellung „Paula Modersohn und die Maler der Brücke“); Nachlass F. Gygi, Bern

Ausstellungen
  • Galerie Ludorff, "Meisterwerke", Düsseldorf 2020
  • Galerie Ludorff, "40 Jahre 40 Meisterwerke", Düsseldorf 2015
Literatur
  • Galerie Ludorff, "Meisterwerke", Düsseldorf 2020, S. 52

»Kirchners Zeichnungen sind vielleicht das Reinste, Schönste seiner Arbeit. Sie sind unbewusst und absichtslos, ein Spiegel der Empfindungen eines Menschen unserer Zeit.«A

Die aquarellierte Bleistiftzeichnung Sitzende Frau mit einem Hut in einem Restaurant entsteht etwa um 1912. Ernst Ludwig Kirchner lebt in dieser Zeit bereits seit einem Jahr in Berlin, dessen Atmosphäre deutlichen Einfluss auf die Bildsprache und Ästhetik des Künstlers nimmt. Die Konturlinien in seinen Zeichnungen werden kürzer und mehrfach angesetzt, die teils heftigen Schraffuren zeugen vom Tempo und Rhythmus der Großstadt.B In Sitzende Frau mit einem Hut in einem Restaurant sind die feinen Konturlinien und kurzen prägnanten Striche des Bleistifts durch die nachträglich aufgetragenen Aquarell- und Deckfarben noch gut zu erkennen. Der flächig dunkle Farbauftrag aus schnellen, fast krakeligen Pinselstrichen, lässt die Restaurantszene unruhig und gedrungen wirken, die rotbraunen und schwarzgrünen Farben verstärken den Effekt. Der Enge und Hektik des Raumes setzt Kirchner die in sich ruhende Frauenfigur als Bildmittelpunkt entgegen. Ihre blaue und beige getönte Kleidung, die sich von ihrer leicht gebräunten Haut abhebt, verstärkt den Kontrast zum Raum ebenso, wie ihr weicher Ausdruck und die feinen Bleistiftlinien ihrer Kontur.

In entspannt aufrechter Haltung hat die Frau in der Ecke eines großen dunklen Sofas platzgenommen. Auf dem Tisch vor ihr stehen eine Flasche Wein und ein Glas bereit. Einen Arm auf der Lehne des Sitzmöbels, die Hände auf den Oberschenkeln abgelegt, betrachtet sie ihr Gegenüber mit geduldigem, freundlichem Blick. Ihr großer, für die Mode der Zeit typischer, Hut wirkt in Farbgebung und Struktur genauso schlicht, wie die lange Jacke über ihrem Kleid und das helle Tuch um ihre Schultern. Der sie rahmende, flächig dunkle Hintergrund wird hier und da durch kleine, helle Akzente durchbrochen: eine ockerfarbene, helle Stuhllehne im rechten Bildmittelgrund, vielleicht ein Fenster rechts, mit hellem Grün pointiert und zwei Bilder an der Wand, deren flüchtig angerissene Motive jedoch nur zu erahnen sind. Es ist »gerade das Flüchtige in meiner Zeichnung das Wichtigste«, schreibt Kirchner, »weil ich dadurch die feinste erste Empfindung einfange.«C Allzu detaillierte und abwägende Beobachtungen würden eben diese Empfindung des ersten Sehens, das Kirchner abbildet, zerstören. Spätestens seit seiner Zeit bei der Künstlervereinigung »Brücke«, hat Ernst Ludwig Kirchner die spontane Zeichnung verinnerlicht. Seine Fähigkeit, das direkt Gesehene und auch die hiermit verbundene Stimmung eines flüchtigen Augenblicks wiederzugeben, zeigt sich in Sitzende Frau mit einem Hut in einem Restaurant besonders eindrücklich.

Annkathrin Schwedhelm

Kunsthistorikerin, Nordrhein-Westfalen

A Louis de Marsalle (Ernst Ludwig Kirchner), »Zeichnungen von E.L. Kirchner«, 1920; in: Lothar Grisebach (Hg.), »Ernst Ludwig Kirchner. Davoser Tagebuch«, Witrach/Bern 1997, S. 220 – 225, S. 224.

B Vgl. Wolfgang Henze, »Bedeutung und Funktion der Zeichnungen im Werk von Ernst Ludwig Kirchner. Ein Arbeitsbericht aus dem Archiv zum Gesamtwerk«; in: Anita Boulek-Hammer (Hg.), »Ernst Ludwig Kirchner. ›Ektase des ersten Sehens‹ und gestaltete Form«, Berlin 2004, S. 22 – 37, S. 30.

C Ernst Ludwig Kirchner, »Tagebucheintrag vom 7. Sept. 1925«, in: Lothar Grisebach (Hg.), »Ernst Ludwig Kirchner. Davoser Tagebuch«, Witrach/Bern 1997, S. 88.

Über Ernst Ludwig Kirchner

Der expressionistische Maler Ernst Ludwig Kirchner war Mitbegründer der Künstlervereinigung »Brücke«, in deren Schaffensfokus das Medium der Zeichnung stand.

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