Franz Marc
Zwei Kühe mit aufgehender Sonne
1912
Bleistift auf Papier
11,5 × 15,9 cm
"12" beschriftet
Die Zeichnung stammt aus dem XXV. Skizzenbuch von Franz Marc aus dem Jahr 1912
Werkverzeichnis Hoberg/Jansen 2011 Nr. XXV p. 12
Maria Marc, Ried (Ehefrau des Künstlers); Galerie Otto Stangl, München (Nachlass Maria Marc, Nr. 156); Galerie Nierendorf, Berlin (in Kommission, -1981); Privatsammlung (1981-); Galerie Pels-Leusden, Berlin (1985); Villa Grisebach, Berlin (10. Juni 1987, Los 199); Privatsammlung (1987-2000); Christie's, London (17 Okt. 2000, Los 68); Privatsammlung (2000-2024)
- Galerie Ludorff, Neuerwerbungen Herbst 2024, Düsseldorf 2024
- Galerie Nierendorf, "1920–1980. Sechzig Jahre Galerie Nierendorf. 1955–1980. Fünfundzwanzig Jahre seit dem Neubeginn. Jubiläum, Rückblick, Dokumentation", 13. Jun. - 17. Nov., Berlin 1980
- Annegret Hoberg/Isabelle Jansen, "Franz Marc. Werkverzeichnis Band III. Skizzenbücher und Druckgrafik", München 2011, Nr. XXV, p. 12
- Galerie Nierendorf, "1920–1980. Sechzig Jahre Galerie Nierendorf. 1955–1980. Fünfundzwanzig Jahre seit dem Neubeginn. Jubiläum, Rückblick, Dokumentation", Ausst.-Kat., Berlin 1980, Nr. 375
»Die Natur ist gesetzlos, weil unendlich, ein unendliches Nebeneinander und Nacheinander. Unser Geist schafft sich selber enge, straffe Gesetze, die ihm die Wiedergabe der unendlichen Natur möglich machen.«1
Der geborene Münchener Franz Marc, bekannt für seine ausdrucksstarken Tierdarstellungen in leuchtend expressiven, von der Realität losgelösten Farben, gilt bis heute als einer der wichtigsten Wegbereiter der modernen Kunst. Nach seinem Studium an der Münchener Kunstakademie begab sich der Künstler auf mehrere Parisreisen, begegnete hier zum ersten Mal den Werken van Goghs, die ihn maßgeblich beeindruckten und ihn ermutigten, eine eigenständige künstlerische Sprache zu entwickeln. Über seinen Freund August Macke lernte er Wassily Kandinsky, Gabriele Münter und Alfred Kubin kennen, mit denen er 1911 die expressionistische Künstlervereinigung »Der Blaue Reiter« gründete. Mit zuvor unbekannter Konsequenz öffnete er den Weg für eine Kunst, in der Farben weit über die naturalistische Darstellung hinaus eine symbolische Bedeutung erhielten: »Jede Farbe muss klar sagen, wer und was sie ist, und muss dazu auf einer klaren Form stehen«2, erklärte Marc.
Auch in unserem Blatt, welches einem Skizzenbuch des Künstlers entstammt, ist diese »klare Form« spürbar. Mit sanften Linien umrissen und zarten Schattierungen modelliert Marc mit meisterlichem Geschick präzise die Formen zweier heiterer, zufriedener Kühe vor einer aufgehenden Sonne. Die geschwungenen, fließenden Linien – besonders im genüsslich zum Himmel gereckten Hals der linken Kuh – verleihen den beiden Tieren eine gar übernatürliche Eleganz und Menschlichkeit.
Unweigerlich erinnert die in sich ruhende Figurengruppe an das Gemälde »Kühe, rot, grün, gelb«, welches sich heute im Lehnbachhaus befindet, sowie an die seinerzeit berühmt-berüchtigte »Gelbe Kuh«, die heute im Guggenheim Museum in New York ausgestellt wird.
Beide Werke entstanden 1911, nur ein Jahr vor unserer Zeichnung. Da der Künstler im gleichen Jahr heiratete, wird das heitere, elegante Tier oftmals als ein weibliches Sinnbild der Liebe zu seiner Frau gedeutet.
Tatsächlich hat die Darstellung einer springenden gelben Kuh wie kein anderes Werk von Franz Marc Kopfschütteln und Missbilligung unter den Zeitgenossen hervorgerufen. So bezeichnete etwa Alexander Kanoldt das Bild als eine »ganz miserable Arbeit«. Das Urteil des Dichters Theodor Däubler fiel jedoch weitaus positiver aus. So sang er in seinem Hymnus auf die Kuh: »Sie trägt einen Tropfen Sonne in der Seele.«3
Betrachtet man die beiden Kühe in unserem Werk aufmerksam, so ist der »Tropfen Sonne« in ihrem Gemüt, vielleicht hinübergesprungen vom Horizont, auch hier unübersehbar.
1 Aus einem Brief vom 22. Februar 1911 an Marcs Gefährtin Maria, zitiert nach: https://www.lenbachhaus.de/digital/sammlung-online/detail/kuehe-rot-gruen-gelb-30020407
2 Zitat Marc, vgl. Klaus Lankheit, »Fanz Marc«, hg. von Maria Marc, Berlin 1950, S. 22.
3 Zitat Marc, vgl. Anm. 1