Gabriele Münter
Dame mit blauem Hut
1927
Öl auf Karton
51,3 × 40,2 cm
Signiert und "27" datiert sowie rückseitig mit dem Nachlassstempel gestempelt
Aufgenommen in das in Vorbereitung befindliche Werkverzeichnis von Dr. Isabelle Jansen, Stiftung Gabriele Münter und Johannes Eichner
Irving Galleries, Milwaukee, Wisconsin; David Barnett Gallery, Milwaukee, Wisconsin (-2017); Privatsammlung New Mexico, USA (2017-2023)
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Herbst 2023", Düsseldorf 2023
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Herbst 2023", Düsseldorf 2023
Gabriele Münter erinnerte sich 1952, sie zeichnete schon als Kind: »Ich versuchte nicht Ereignisse und Handlungen darzustellen. Einzig die bleibende Erscheinung fesselte mich am Menschen – die geprägte Form, in der sich sein Wesen ausspricht.« (1)
Unser Gemälde von 1927 zeigt im klassischen Brustbild eine Dame zur linken Bildhälfte gedreht, die im Bildvordergrund sitzend, aus dem Gemälde direkt am Betrachtenden vorbeischaut. In der linken Hand einen Löffel haltend, mit der rechten ihr Kinn aufgestützt, sitzt sie an einem Tisch im Freien, vor einem See, auf dem ein Segelboot fährt. Die Frau selbst ist in ein beiges Hemd gekleidet mit karierter Krawatte, einem lila Hut und kurzen oder hochgesteckten Haaren.
Gabriele Münter war mehr als nur eine Malerin des bayrischen Voralpenlands – sie war eine Kosmopolitin. Ihre Inspiration und Anregung fand sie während ihrer Aufenthalte in den USA, München, Paris, Skandinavien und Berlin. Unser Gemälde von 1927 entstand in Berlin. Kurz zuvor lebte Münter in Köln, danach zog es sie bis 1930 nach Frankreich, bis sie sich schließlich wieder in Murnau niederließ. Sie sprach fünf Sprachen, verkehrte in angesagten Künstlertreffs, pflegte ein breites Netzwerk an Galerist:innen und Mäzen:innen, was auch ihre Porträts als Zeitzeugnisse belegen, wie das von der Journalistin Sylvia von Harden.
Die Thematik der Menschenbilder beschäftigte Gabriele Münter ihre gesamte künstlerische Laufbahn über, in unterschiedlichen Medien wie der Fotografie, Zeichnung, Druckgrafik und Malerei. Im Œuvre kann zwischen Porträts ohne Attribute und beschreibende Hintergründe sowie Figurenbildnissen, wo die Porträtierten in der Landschaft oder im Innenraum wie in einem Genrebildnis dargestellt werden, unterschieden werden. Befreit von der Suche nach der Ursprünglichkeit und Klarheit der Form, wie sie in der Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts prägnant für Münter war, fasst Kathrin Baumstark zusammen, entstehen Ende der 1920er Jahre außergewöhnliche Menschenbilder: Die emanzipierte Frau, Frauen aus ihrem Umfeld, male Münter expressiv, farbig, genauso wie mit gedeckter Palette und im Stil der Neuen Sachlichkeit – ihre Formensprache werde schlichter und durch eine flächigere Malweise bemühe sie sich darum, die Spuren des Malprozesses weitestgehend zu reduzieren. Baumstark formuliert weiter, dass die Parallelität der Stile ein Merkmal in Münters Schaffen sei, was ihre Neugierde und Experimentierfreudigkeit besonders in diesem wechselvollen Lebensabschnitt zeige (2). Die Frau wird hier nicht als erotisch aufgeladene Provokation, sondern als Alltagsmotiv, das die Frau als Subjekt ernst nimmt, dargestellt.
Gabriele Münter stand zu oft im Schatten von Wassily Kandinsky. Aber mit immer weiteren Retrospektiven wie zuletzt 2018 im Lehnbachhaus München und Museum Ludwig in Köln (»Malen ohne Umschweife«) und nun auch die erste kuratorisch und wissenschaftlich aufgearbeitete Ausstellung zu Münters Menschenbildern im Bucerius Kunst Forum im Frühjahr 2023 zeigen, wie wichtig und eigenständig Gabriele Münter als Malerin war.
1 Gabriele Münter, »Bekenntnisse und Erinnerungen«, 1952, in: Katharina Baumstark (Hg.),
»Gabriele Münter Menschenbilder«, Ausst.- Kat. Bucerius Kunst Forums, Hamburg 2023, S. 137.
2 Vgl. Katharina Baumstark (Hg.), »Gabriele Münter Menschenbilder«, Ausst.-Kat. Bucerius Kunst
Forums, Hamburg 2023, S. 11.