Gabriele Münter
Landhaus Mariahalde bei Rorschach
1914
Öl auf Malkarton
33 × 44,5 cm
Rückseitig signiert, "1914 Herbst" datiert und "Mariahalde bei Rorschach i.Schweiz" betitelt sowie mit einer schwer lesbaren Nummer "L 513" versehen
Aufgenommen in das in Vorbereitung befindliche Werkverzeichnis von Dr. Isabelle Jansen, München
Prof. Dr. Helmut Friedel, Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München
Nachlass der Künstlerin; Galerie Resch, Gauting; Sammlung Eisenmann, Süddeutschland
- Leopold Museum, "Gabriele Münter. Retrospektive", Wien 2023/24
- Stadtmuseum Langenfeld, "Wegbereiter der Moderne - der Blaue Reiter", Langenfeld 2019
- Galerie Ludorff, "Meisterwerke des Expressionismus", Düsseldorf 2011/2012
- Ivan Ristic und Hans-Peter Wipplinger (Hg.), "Gabriele Münter. Retrospektive", Leopold Museum Wien 2023, S. 151
Als Gabriele Münter im Jahr 1908 den bayerischen Ort Murnau entdeckt, hat das großen Einfluss auf ihre künstlerische Weiterentwicklung. Während eines gemeinsamen Ausflugs mit Wassily Kandinsky in die Umgebung von München gelangen die beiden Künstler rein zufällig in diesen alten Marktort, der bald zu ihrem bevorzugten Ausflugsziel wird. Der Entschluss, ein Haus zu kaufen und sich von der Stimmung des Ortes zum künstlerischen Schaffen inspirieren zu lassen, ist schnell gefasst. Das unterhalb des Staffelsees gelegene Dorf wird Entstehungsstätte ihrer berühmtesten Werke und Hort des höchsten künstlerischen Wirkens und Arbeitens, denn hier erst gelingt Münter der endgültige künstlerische Durchbruch zu ihrer typischen ausdrucksstarken Bildsprache. Vom regionalen Kunsthandwerk und der Hinterglasmalerei inspiriert, entwickelt die Künstlerin eine abstrahierte und auf die wesentlichen Formen reduzierte Darstellungsweise. Es folgt eine intensive Schaffensperiode, in welche auch die Gründung der Künstlergemeinschaft der „Blaue Reiter“ fällt, deren Initiatorin und Mitglied Münter ist. Den Frühsommer des Jahres 1914 verbringen Münter und Kandinsky noch gemeinsam in Murnau. Nach Kriegsausbruch brechen sie jedoch überstürzt nach München auf, um von dort ins Schweizer Exil zu gelangen. Im Örtchen Rorschach am Bodensee finden Sie vorübergehend eine neue Bleibe und beziehen die leer stehende Villa ihres Münchener Vermieters.
Das Gemälde „Landhaus Mariahalde bei Rorschach“ entsteht in diesem ereignisreichen Jahr 1914 – dem Jahr des Kriegsausbruchs und dem letzten gemeinsamen Jahr mit Wassily Kandinsky. Es zeigt ebendieses Haus, in welchem Münter und Kandinsky ihre letzten gemeinsamen Monate verbringen, bevor Kandinsky später nach Russland zurückkehren und Münter nach Skandinavien emigrieren wird. Im Zentrum des Bildes steht ein imposantes mehrstöckiges Gebäude, erbaut in einem weitläufigen, fast parkähnlichen Garten und umgeben von hohen Nadel- und Laubbäumen. Die leuchtenden Farben sind in flüssigem, spontanem Duktus aufgetragen und teilweise so verdünnt auf die Malunterlage aufgebracht, dass der braune Karton des Bildträgers an vielen Stellen durchscheint. Das farbintensive Licht der Alpengegend trägt dazu bei, dass Münter sich nun ganz auf das Malen mit dem Pinsel verlegt und die in frühen Jahren fast ausschließlich angewandte Spachteltechnik zunehmend vernachlässigt.
Auch durch die Einflüsse des regionalen Kunsthandwerks, besonders der bayerischen und böhmischen Hinterglasmalerei, deren Technik Münter in Murnau erlernt, entwickelt die Künstlerin eine immer einfachere Formensprache und reduziert ihre Palette auf wenige Grundfarben. Sie selbst beschreibt ihre künstlerische Entwicklung rückblickend so: „Von nun an bemühte ich mich nicht mehr um die nachrechenbare ‚richtige‘ Form der Dinge. Und doch habe ich nie die Natur ‚überwinden‘, zerschlagen oder gar verhöhnen wollen. Ich stellte die Welt dar, wie sie mir wesentlich schien, wie sie mich packte.“1)
Anm.:
1) Gabriele Münter zit. in: Kultur- und Sportamt der Stadt Bietigheim-Bissingen – Städtische Galerie (Hg.), „Gabriele Münter“, Ausst.-Kat. Galerie Bietigheim-Bissingen, Ostfildern-Ruit 1999, S. 17.