Käthe Kollwitz
Schwangere Frau
1921
Tusche und Deckweiß auf Papier
47,2 × 32,3 cm
Signiert, zusätzlich signiert mit dem Monogramm und "Verfluchter Segen" bezeichnet
Titelblattzeichnung zu dem Drama „Verfluchter Segen“ von Eugen Schönlank, Verlag für Sozialwissenschaft GmbH, Berlin 1921
Werkverzeichnis Nagel 1972 Nr. 926
Sammlung Dorothea J. Mautner, Newton Centre, Massachusetts (1982); Sammlung Fritz Schwab, Melbourne
- Galerie Ludorff, "Drawn World: Zeichnungen von Menzel bis Warhol", Düsseldorf 2019
- Galerie Ludorff, "Drawn World. Zeichnungen von Menzel bis Warhol", Düsseldorf 2019, S. 65
- Otto Nagel (Hg.), "Käthe Kollwitz. Die Handzeichnungen", Berlin 1972, Nr. 926, S. 375
Käthe Kollwitz steht mit ihren Zeichnungen in der Berliner Tradition des 19. Jahrhunderts, die auf Johann Gottfried Schadow zurückgeht. Max Liebermann und Adolf Menzel bilden für ihren Zeichenstil direkte Vorbilder und als eine der letzten großen Repräsentanten führt sie diese Tradition in die Moderne hinüber. Ansonsten hat sie weitgehend unabhängig und gegen die Strömungen der Zeit ihren eigenen Stil gefunden. Indem sie den Raum völlig ausspart, fokussiert sie sich einzig auf die menschliche Figur. Kollwitz setzt für ihr Werk deutlich andere Akzente als ihre Zeitgenossen.
Mit scharfsinnigem Blick nimmt die Künstlerin ihre unmittelbare Umwelt der Armenviertel im Norden Berlins wahr. Im Sinne Menzels und unter Einfluss des Realismus wird die Natur der Menschen ungeschönt wiedergeben. Ihre Arbeiten dienen dabei jedoch nicht der Zurschaustellung von Notlagen sondern sind Ausdruck eines tiefen Mitgefühls. Als Frau eines Arztes erlebt Kollwitz hautnah die alltägliche Not und die Sorgen des Proletariats, mit welchen sie sich zeitlebens sozialkritisch auseinandersetzt und ihnen durch ihr Werk eine Stimme gibt. Sie schreibt in ihr Tagebuch: „Während ich zeichnete und die Angst der Kinder mich mitweinen machte, hatte ich so recht das Gefühl der Last, die ich trüge. Ich fühlte, dass ich mich doch nicht entziehen dürfe der Aufgabe, Anwalt zu sein. Ich soll das Leiden der Menschen, das nie ein Ende nimmt, das jetzt übergroß ist, aussprechen“.1 Als Mutter zweier Söhne verwundert es nicht, dass besonders die Mutterschaft für Kollwitz ein zentrales Thema ist, was sich in unserer Tuschzeichnung „Schwangere Frau“ widerspiegelt. Dem Betrachter frontal gegenüberstehend, hält die dargestellte Frau ihre Hände schützend über ihren Bauch. Nur der Titel gibt darüber Aufschluss, dass es sich bei der Person nicht um eine Greisin, sondern um eine Mutter handelt. Die Sorgen und Belastungen der Frau haben deutlich Spuren hinterlassen. Doch allen Nöten trotzend, steht über Allem das Wohlergehen ihres Kindes. Ihre Mimik zeugt daher nicht von Selbstaufgabe oder Schwäche; im vollen Bewusstsein ihrer zukünftigen Aufgabe als Mutter, scheint sie fest entschlossen, sich dieser anzunehmen. Durch den geschickten Einsatz der Tusche wird dieser Moment veranschaulicht:Ihr Bauch erstrahlt wie eine Quelle des Lichts, die die
Dunkelheit zu vertreiben scheint. Kollwitz zeigt uns, dass es in schweren Zeiten wie diesen, dennoch Momente der Innigkeit und Fürsorge geben kann.
1 Zitiert in: Martin Fritsch (Hg.), „Käthe Kollwitz: Zeichnung, Grafik,
Plastik“, Leipzig 1999, S. 37.