Lesser Ury
Im Café
1910
Pastell und Kreide auf Karton
50 × 33,5 cm
Signiert und datiert
Aufgenommen in das in Vorbereitung befindliche Werkverzeichnis der Gemälde, Pastelle, Gouachen und Aquarelle von Dr. Sibylle Groß, Berlin
Gutachten von Dr. Sibylle Groß, Berlin
Privatsammlung Deutschland; Galerie Ludorff, Düsseldorf (2004); Privatsammlung Nordrhein-Westfalen (seit 2004)
- Galerie Ludorff, Neuerwerbungen Frühjahr 2022, Düsseldorf 2022
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Frühjahr 2022", Düsseldorf 2022, S. 143
Zwei elegante Damen sitzen ins Gespräch vertieft an einem gedeckten Fenstertisch in einem Café. Draußen sieht man die lebhafte Großstadt Berlin mit Passanten und Pferdekutschen. Nach vorne wird die Szene von einem weiteren, freien Tisch mit zwei Stühlen ergänzt.
Die beiden modernen Frauen sind à la mode gekleidet. Die linke Dame, die wir nur im Profil sehen können, trägt ein türkisgrünes Kleid mit weißem Kragen und einen dunkelgrünen Hut mit Krempe, der mit einem blauen Band und mit Federn geschmückt ist. Die andere Frau ist – bis auf den ebenfalls weißen Kragen – komplett in schwarz gekleidet. Sie trägt einen eleganten, schräg auf dem Kopf sitzenden Hut.
Die Verbundenheit der beiden Protagonistinnen betont Ury nicht nur durch die einander zugewandte Körperhaltung, sondern zusätzlich durch motivische Paare im Bild: neben den Frauen, die beide ihr Kinn mit der Hand abstützen und so ihre Gestik spiegeln, komponiert Ury mit den beiden Stuhlpaaren im Vorder- und Mittelgrund zwei weitere Dopplungen.
Der Behandlung des Lichts widmet sich Ury mit großer Meisterschaft. Die Szene ist von außen durch das Fenster (oder die Türöffnung) und eine halbtransparente Gardine beleuchtet, wodurch eine interessante Gegenlichtsituation mit diffusem Licht entsteht, die durch die Wahl der pudrigen Pastelltechnik noch betont wird. Die dunkel gekleidete Frau ist zur Hälfte vom hellen Sonnenlicht und dem dunkelroten Vorhang hinterfangen, der sich am rechten Bildrand befindet. Dessen Rotton taucht auch in den Polstern der vorderen Stühle wieder auf und schafft so eine harmonische Verbindung im Bild. Das Gesicht bzw. Profil der Beiden, das eigentlich verschattet sein müsste, stellt Ury – die Lichtquelle ignorierend – dennoch deutlich sichtbar und hell dar. Er deutet nur leicht eine Verschattung an.
Die Spiegelung und Schatten auf der vorderen, glänzenden Tischplatte setzt der Künstler besonders in Szene. Sie erinnern an die lichtreflektierenden Oberflächen, die sonst auch auf regennassen Straßen auftauchen und sehr typisch für diesen »Zauberer des Lichts«1 sind.
Neben dieser Reflexion und den beiden innig miteinander agierenden Damen, ist die meisterhafte Darstellung des halbtransparenten Gardinenstoffs ein Höhepunkt des Pastells. Der opake, dunkelrote Vorhang rahmt das Bild auf der rechten Seite und schließt es ab. Dem gegenüber blickt man links durch die bodentiefe Scheibe (oder die geöffnete Terrassentür) ungehindert ins Freie und in den belebten Stadtraum. Die Mitte des Hintergrunds, die gleichzeitig auch die hellste Fläche der Komposition ist, wird von dem halbtransparenten Gardinenstoff erhellt, durch den man das Treiben draußen nur erahnen kann. Es ist ein spannender Kniff, um das Geschehen im Café vor einem ruhigeren, aber dennoch mit Finesse gemalten Hintergrund stattfinden zu lassen. Er lenkt nicht vom Geschehen im Café ab, führt den Blick der Betrachtenden aber durch die Helligkeit doch entschieden dorthin. »Die künstlerische Erweiterung des Bildraums durch die Verbindung von Innen- und Außenraum wirkt wie ein roter Faden bei der Behandlung des Sujets.«2 Insgesamt stellt diese exquisite Caféhausszene also das großartige Können des Malers beispielhaft unter Beweis.
1 Vgl. Hermann A. Schlögl u.a.,»Lesser Ury - Zauber des Lichts. Ein Lebensbericht nach Dokumenten und Briefen«, Berlin 1995.
2 Barbara Wagner, »Stadt Land Licht«, in: Maximilian Eiden u.a. (Hg.): »Lesser Ury Stadt Land Licht«, Ausst.-Kat. Schloss Achberg, Weiler im Allgäu 2021, S. 39-91, hier S. 50.