Max Liebermann
Gartenlokal an der Havel
ca. 1932
Öl auf Leinwand
40,5 × 50,5 cm
Signiert
Werkverzeichnis Eberle 1996 Nr. 1932/16
Privatsammlung Europa (seit 1930er), seitdem durch Erbschaft im Familienbesitz
- Galerie Ludorff, Neuerwerbungen Frühjahr 2022, Düsseldorf 2022
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Frühjahr 2022", Düsseldorf 2022, S. 111
- Matthias Eberle, "Max Liebermann. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien 1900-1935", Bd. II, München 1996, Nr. 1932/16
Von Lucy Wasensteiner,
Direktorin, Liebermann-Villa am Wannsee, Berlin
Ein Sommertag am Wannsee: dieses Motiv gehört vielleicht zu den bekanntesten Max Liebermanns. Hier sehen wir allerdings nicht den beliebten Garten seiner Sommervilla, sondern ein nahegelegenes Gartenlokal am Wasser. Das Berliner Publikum genießt die sommerliche Stimmung und den weiten Blick: in der Mitte im Vordergrund drei Frauen mit Strohhüten, um einen Tisch sitzend im Gespräch; links eine weitere Frau, ihren Arm locker auf die Lehne eines Stuhls neben ihr gestützt; rechts im Profil ein Mann im dunklen Anzug. Hinter ihnen verschmelzen die Gesichter und Gestalten von Dutzenden weiteren Gästen zu einem flimmernden Farbenrausch. Im Hintergrund erstreckt sich die Bucht, in der sich die Segelboote tummeln. Der hellblaue Himmel vermittelt mit seinen orangegetönten Wolken die glühende Hitze des Tages.
Entdeckt hat Liebermann das Thema des Gartenlokals etwa fünfzig Jahre früher, in den Biergärten in und um München. In den Dörfern Etzenhausen, Brannenburg, Rosenheim und im Münchner Hofgarten fertigte er ab den späten 1870er Jahren zahlreiche Darstellungen von Arbeitern und Familien bei der Erholung im Freien. Diese Bilder begleiteten Liebermann auf seinen verschiedenen Reisen und in den Arbeitsphasen der darauffolgenden Jahre. Im holländischen Overveen zum Beispiel malte er 1895 ein ländliches Wirtshaus unter Bäumen; 1902 die vornehme Caféterrasse des Hotels Louis C. Jacobs in Hamburg (Abb. 1); ab 1905 immer wieder das beliebte Gartenlokal »De Oude Vink« an einer Gabelung des Rheins am Stadtrand Leidens. In diesen Bildern lässt sich besonders deutlich Liebermanns zunehmendes Interesse an den Ideen des Impressionismus verfolgen. Der Farbauftrag wird lockerer, die Töne immer leuchtender. Ähnlich wie bei seinen französischen Vorgängern verändern sich im Lauf der Zeit auch Liebermanns Sujets. Immer weniger werden Arbeiter und Arbeiterinnen in den Dörfern dargestellt, sondern Darstellungen der bürgerlichen Freizeit.
Ab Mitte der 1870er Jahren wurden Wannsee und Havel mit der neuen Berlin-Bahnanbindung zu beliebten Ausflugszielen für die Großstädter. Auf der Strecke zwischen S-Bahnhof Wannsee und der Pfaueninsel öffneten Dutzende Lokale, so die Kunsthistorikerin Margreet Nouwen:
»An Tagen wie Ostern und Pfingsten waren 20.000 Ausflügler nichts Besonderes […] Die Gastwirtschaften, die rund um den Wannsee lagen, waren aber für diesen Ansturm gerüstet und boten Platz für Tausende.«1
Laut dem Autor des Liebermann-Werkverzeichnisses Matthias Eberle ist in diesem Bild der »Schwedenpavillon« am Wannsee dargestellt. Ursprünglich befand sich das Restaurant im wiederaufgebauten schwedischen Pavillon der Wiener Weltausstellung 1872-3; 1910 wurde das Gebäude durch einen großen Neubau ersetzt (Abb. 2). Das Gartenlokal befand sich direkt am Ufer des Sees nur wenige Häuser von der Liebermann-Villa entfernt. Hier feierte der Künstler 1927 seinen 80. Geburtstag im großen Stil: 120 Gäste kamen zu dem von der Berliner Akademie veranlassten Dinner.
»Das Gartenlokal an der Havel« hatte Liebermann im Sommer 1932 gemalt und gehört damit zu den letzten Caféterrassenbildern in seinem Œuvre. Der Künstler wurde in diesem Jahr 85 Jahre alt; somit ist naheliegend, dass er seine Motive in nächster Umgebung suchte. Nach Zeichnungen vor Ort wurden diese Bilder dann im Atelier des Malers in der Liebermann-Villa fertig gemalt. Dort tauschte Liebermann einige Figuren, änderte sie wieder und erfand sie neu. Die drei sitzenden Damen hier im Vordergrund erscheinen beispielsweise in mehreren Gemälden dieser Zeit: mal in der gleichen Pose, jedoch anders gekleidet; oder in denselben Kleidern, jedoch an anderer Stelle im Bild. Die Fröhlichkeit und Schönheit dieser Szenen ließen den Künstler einfach nicht los. Trotz hohen Alters und der erdrückenden politischen Situation blieb große Begeisterung für Gartenbilder – sowohl in Öl als auch in Pastell – in den frühen 1930er Jahren ungebrochen.
1 Margreet Nouwen, »Sonntag am Wannsee – die späten Gartenlokale«, in: Martin Faass (Hg.), Max Liebermann: Biergärten und Caféterrassen (Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin, 2016), S. 77-85, S. 80.