Otto Mueller
Ein stehender und ein sitzender Akt
ca. 1925
Farbkreide auf Velin
51 × 34 cm
Rückseitig vom Künstler "unverkäuflich" beschriftet sowie mit dem Nachlassstempel "Nachlass Prof. Otto Mueller Breslau" versehen und "W IX", "E", "35" bezeichnet
Werkverzeichnis Pirsig-Marshall/von Lüttichau 2020 Nr. P1925/61 (935)
Dr. Tanja Pirsig-Marshall, Münster
Nachlass des Künstlers (1930); Erben des Künstlers (vermutlich Josef Mueller, Karlsruhe/Lübeck, 1931-); Privatsammlung Rheinland; Privatsammlung Bayern; Galerie Ludorff, Düsseldorf (2017-2019); Privatsammlung Bayern (2019-2022)
- Galerie Ludorff, Neuerwerbungen Herbst 2022, Düsseldorf 2022
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Herbst 2022", Düsseldorf 2022, S. 116
- Tanja Pirsig-Marshall/Mario-Andreas von Lüttichau, "Otto Mueller: Catalogue Raisonné. Bd. II: Zeichnungen und Aquarelle/Drawings and Watercolours", Leipzig 2020, Nr. 1925/61
Im Jahr 1905 schließen sich in Dresden die vier Architekturstudenten Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel zu der Künstlergruppe »Brücke« zusammen. Von Anbeginn nimmt die spontane Zeichnung eine zentrale Bedeutung innerhalb des Schaffens der jungen Künstler ein. Entspricht sie doch am ehesten dem Wunsch nach Unmittelbarkeit und spontanem Ausdruck. Thematisch stürzen sich die Künstler auf ihre unmittelbare, alltägliche Umgebung und das Dresdner Stadtbild, aber auch auf das Aktzeichnen in ihren spärlichen Ateliers und im Sommer an den Moritzburger Teichen.
Otto Mueller schloss sich ab 1910 der »Brücke« an und arbeitete bis zur Auflösung der Gruppe 1913 mit. Seine Kunst ist jedoch weniger von unruhigem Drang geprägt. Er sucht in seiner Kunst nicht nach dem Brüchigen seiner Zeit, sondern vielmehr nach dem Ursprünglichen. Sein »Faszinosum […] beruht auf seiner Fähigkeit, ›nach Innen‹ sehen zu können. Seine künstlerische Motivation liegt weniger in der Beschreibung oder der Kritik von Zuständen als vielmehr in der Suche nach dem Selbst, nach dem Menschlichen und ganz zentral in der Suche nach dem Wesen von Mann und Frau.«1
So stellt er häufig Liebespaare in inniger Umarmung oder einzelne weibliche Figuren in anmutiger Pose dar. In der vorliegenden, sehr typischen Zeichnung »Ein sitzender und ein stehender Akt« zeigt Mueller zwei sich in freier Natur zugewandte Frauen. Nur vage deuten die lockeren Kreidelinien und der spontane Strich im Hintergrund eine landschaftliche Umgebung an, in der sich Maler und Modelle am Ufer eines Gewässers niedergelassen haben. Eine konkrete Verortung der Figuren ist nicht möglich. Mueller lässt gekonnt ganze Partien frei. Zwar dominiert die dunkle Kontur von Figur und Grund, doch zeigt sich bei diesem Blatt wie virtuos Mueller sich mit dunklen Konturen auf das Wesentliche konzentriert, ganze Flächen freilässt und hier dem Betrachter Raum zur geistigen Vervollständigung lässt. Er lenkt den Blick des Betrachters auf das Wesentliche – die besonnene Stille und die tiefe Empfindung der Harmonie zwischen Mensch und Natur.
- Hypo-Kulturstiftung München, »Otto Mueller«, Ausst. Kat., München 2003, S. 67.