Paula Modersohn-Becker
Brustbild einer alten Bäuerin mit Hut vor Landschaft
ca. 1901
Öl auf Leinwand
50,2 × 74,5 cm
Signiert mit dem Monogramm
Werkverzeichnis Busch/Werner 1998 Nr. 181
Galerie Wilhelm Großhennig, Düsseldorf?; Sammlung Karl Ströher, Darmstadt (1954); Galerie Wilhelm Großhennig, Düsseldorf (1968); Wilhelm Reinold, Hamburg; Christie’s London, Auktion 28. Februar 2018, Los 519; Privatsammlung Washington DC; Privatsammlung Nordrhein-Westfalen
- Galerie Ludorff, "Meisterwerke", Düsseldorf 2020
- Hessisches Landesmuseum in Darmstadt, "Die Sammlung Karl Ströher Darmstadt. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen", 13. November - 16. Januar, Darmstadt 1965/1966
- Nassauischer Kunstverein Wiesbaden/Neues Museum, "Kunst unserer Zeit. Sammlung Karl Ströher", 10. Juli - 11. September, Wiesbaden 1955
- Hessisches Landesmuseum Darmstadt, "Kunst unserer Zeit. Privatsammlung Karl Ströher, Darmstadt", Juni - September, Darmstadt 1954
- Erich Wiese, "Die Sammlung Karl Ströher in Darmstadt", in: Das Kunstwerk, Heft 5/6 XI, November/Dezember 1957, S. 20-42, S. 40
- Galerie Ludorff, "Meisterwerke", Düsseldorf 2020, S. 102
- Günter Busch/Wolfgang Werner, "Paula Modersohn-Becker. Werkverzeichnis der Gemälde", Bd. II, München 1998, Nr. 181
- Hessisches Landesmuseum in Darmstadt, "Die Sammlung Karl Ströher Darmstadt. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen", Ausst.-Kat., Darmstadt 1965, Abb. 93, S. 115
- Quadriennale nazionale d'arte di Roma, "Arte tedesca dal 1905 ad oggi", Ausst.-Kat., Rom 1957, S. 52
- Nassauischer Kunstverein Wiesbaden/Neues Museum, "Kunst unserer Zeit. Sammlung Karl Ströher", Ausst.-Kat., Wiesbaden 1955, Nr. 21
- Hessisches Landesmuseum Darmstadt, "Kunst unserer Zeit. Privatsammlung Karl Ströher, Darmstadt", Ausst.-Kat., Darmstadt 1954, Nr. 20
»Unter Tausenden hat kaum einer den Bauern gemalt wie Paula Modersohn. Es scheint in ihrer Darstellung ihr eigenes Wesen ausgelöscht und völlig eingegangen zu sein in die Seele dieser Kinder, dieser derben Menschen und Greise.«A
Auf diese Weise formuliert der ehemalige Direktor der Kunsthalle Bremen Gustav Pauli 1919 seine Bewunderung für die Malerei Paula Modersohn-Beckers. Auf der Suche nach der »großen Einfachheit der Form« ist es der Künstlerin gelungen, die akademische Malweise des 19. Jahrhunderts hinter sich zu lassen und ihren ganz eigenen Stil hervorzubringen, durch den sie als eine Wegbereiterin der Moderne in Deutschland gilt.
1876 als Paula Becker in Dresden geboren und ab 1888 in Bremen aufgewachsen, gelangt die Malerin erstmals im Sommer 1897 nach Worpswede, wohin sie im darauffolgenden Jahr übersiedelt. In der dortigen Künstlerkolonie und während mehrerer Aufenthalte in Paris entstehen bis zu ihrem frühen Tod im Jahr 1907 zahlreiche Zeichnungen und Gemälde. Im Mai 1901 heiratet die Künstlerin den Maler Otto Modersohn. Mit großer Ernsthaftigkeit, jedoch überwiegend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, treibt sie ihr künstlerisches Schaffen auch nach der Eheschließung weiter voran. Im selben Jahr entstehen über 100 Gemälde – überwiegend Landschaftsbilder und Porträts.
»Die große Einfachheit der Form, das ist etwas Wunderbares. Von jeher habe ich mich bemüht, den Köpfen, die ich malte oder zeichnete, die Einfachheit der Natur zu verleihen.«B
Dies schrieb Modersohn-Becker im Februar 1903. Eine Beschreibung, die wohl auch auf das rund zwei Jahre zuvor entstandene Brustbild einer alten Bäuerin mit Hut vor Landschaft zutrifft. Zentral im Vordergrund platziert, zeigt das Gemälde eine vor einem Heuhaufen, auf einem Stuhl sitzende Bäuerin vor der Weite der Worpsweder Landschaft. Typisch ist nicht nur die pastose Malweise, sondern auch die reduzierte Farbpalette der Malerin. Die dunkle Kleidung der Bäuerin steht im Kontrast zu den leuchtenden Farben der flächig gehaltenen Landschaft im Bildhintergrund und hebt die Hautpartien von Gesicht und Hand sowie einen Teil des Hutbands unterm Kinn hervor. Die leicht rötliche Farbgebung der dargestellten Hand zeugt von schwerer körperlicher Arbeit. Die Gesichtszüge sind einfach gehalten und doch markant. Der für die Malerin charakteristische trübe Blick der Porträtierten verweigert sich jeglicher Form von Idealisierung. Gleichzeitig tritt die Bäuerin als Individuum in ihrem real existierenden Umfeld hervor. Auf diese Weise würdigt die Künstlerin die »einfache« Dorfbevölkerung. Das formal-ästhetische Interesse Modersohn-Beckers an diesem Motiv zeigt sich auch daran, dass ein weiteres, wesentlich kleineres Porträt derselben (?) Bäuerin mit Hut im August 1901 entstand – jedoch kein Brustbild.C Auch wenn die Malerin mit der Darstellungsweise nicht primär eine sozialpolitische Dimension intendiert, so ermöglicht sie doch eine zu ihrer Zeit neue Perspektive auf die Darstellung von »Weiblichkeit« und der einfachen Arbeiter_innen.
Linda Günther
Wissenschaftliche Volontärin, Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen
A Gustav Pauli, 1919, zit. nach: Rainer Stamm/Hans-Peter Wipplinger (Hg.), »Paula Modersohn-Becker. Pionierin der Moderne«, Ausst.-Kat. Kunsthalle Krems 2010, S. 129.
B Paula Modersohn-Becker, Tagebucheintrag am 25. Februar 1903, zit. nach: Günter Busch/Liselotte von Reinken (Hg.), »Paula Modersohn-Becker in Briefen und Tagebüchern«, Frankfurt am Main 2007, 1. Aufl. 1979, S. 410.
C Vgl. WZ 182 Kopf einer alten Bäuerin mit Hut, 1901, in: Günther Busch/Wolfgang Werner, »Paula Modersohn-Becker – Werkverzeichnis der Gemälde: Band 2: Katalog der Gemälde«, München 1998, WZ 182.