Georg Kolbe
Kauernde Marburg
1925-1927
Bronze
43,5 × 22 × 22 cm
Signiert mit dem Monogramm auf der Oberseite der Plinthe und mit dem Gießerstempel "H. Noack Berlin Friedenau" auf der Rückseite der Plinthe versehen
Auflage wenige Exemplare; Lebzeitguss vor 1939
Ein weiterer Guss dieser Bronze befindet sich im Metropolitan Museum, New York (vorher im Museum of Modern Art)
Dr. Ursel Berger, ehemalige Direktorin des Georg Kolbe Museum, Berlin
Galerie Bertram, Berlin (-1997); Privatsammlung USA (1997-2023)
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Herbst 2023", Düsseldorf 2023
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Herbst 2023", Düsseldorf 2023, S. 82
Das Motiv der Kauernden ist in Kolbes OEuvre kein seltenes. Die uns vorliegende Plastik trägt den Titel »Kauernde Marburg«, bei der es sich um einen kleineren Abguss der überlebensgroßen Bronze handelt, die der preußische Staat 1927 der Stadt Marburg anlässlich des 400-jährigen Bestehens der Universität schenkte.
Auf einem Bein kniend, den Oberkörper aufgerichtet, schaut der weibliche Akt gen Himmel und hat dabei die Arme leicht verschränkt auf ihrem rechten angewinkelten Oberschenkel abgelegt. Ihren Blick hat die Kauernde voller Sehnsucht in den Himmel gerichtet und scheint in ihren Gedanken versunken zu sein.
Es ist ein Leichtes, sich in den wohl proportionierten Körpern von Georg Kolbes Skulpturen zu verlieren. Auf zugleich ideelle und realistische Art gelang es ihm, das Abbild menschlicher Gestalt und Momente tiefer Sinnlichkeit in Einklang zu bringen. Erst spät, ab 1900, nach seinem eigentlichen Studium der Malerei sowie seiner Ausbildung zum Zeichner, fand Kolbe zu seiner künstlerischen Berufung – der Bildhauerei. Beeindruckt von der Kunst der Antike, von Größen der aktuellen italienischen und französischen Kunst sowie dem Bildhauer Louis Tuaillon, ging Kolbe während eines Aufenthalts in Rom erstmals seinem künstlerischen Bestreben nach. Im Einklang mit seinen Plastiken beschrieb er seine Vorstellung und Wahrnehmung eines freien, neuen Menschen. Die authentische Körperlichkeit, die man sowohl dem zeichnerischen als auch dem plastischen Werk Kolbes entnehmen kann, diente ihm weniger zur anatomischen Dokumentation als vielmehr dem Einfangen eines Momentums, das auf eine neue, bevorstehende Zeit verweisen soll.
In Kolbes Werk lässt sich kaum der Bezug zur hellenistischen Skulptur der »Kauernden Aphrodite« übersehen, die ein wichtiger Typus der nackten Göttin seit der Antike war. Bis ins moderne Zeitalter verfügte kaum ein anderes Bildmotiv über solch eine außergewöhnliche Strahlkraft und hohe Rezeption. (1) Aphrodite ist in hockender Pose dargestellt, den linken Arm auf den linken Oberschenkel gestützt und mit dem rechten Arm ihren Oberkörper schützend. Ihr Kopf ist zur rechten Seite gedreht, scheu und in abwehrender Bewegung, als fühle sie sich wohl beobachtet.
Kolbes Frühwerk (1910-1920) drückt sich durch eben diese besonders weich anmutende Formensprache aus. In nahezu fließenden Bewegungen fing der Künstler Momente körperlicher und geistiger Bewegtheit ein und brachte diese in unterschiedlichsten Posen zum Ausdruck. Die Vielgestaltigkeit des menschlichen Körpers faszinierte Kolbe fortdauernd. Dabei war es besonders die Anmutung des weiblichen Aktes, in der Kolbe Schönheit und Harmonie fand.
Schon zu Ende der 1920er Jahre entwickelte sich seine Ausdrucksweise jedoch weiter. Es entstanden weniger dynamisch und von Leichtigkeit geprägte Arbeiten. So vermag auch die »Kauernde Marburg« eine anmutend sinnliche, aber verharrende, anhaltende Pose eingenommen haben, im Gegensatz zu der lebhaften, gerade in der Bewegung eingefangenen antiken »Kauernden Aphrodite«. Dies mag nicht zuletzt damit begründet sein, dass 1927 Kolbes geliebte Frau Benjamine starb und er dem Verlust und seiner Trauer durch die Kunst Ausdruck verlieh.
1 Vgl. Reinhard Lullies, »Die kauernde Aphrodite«, München-Pasing 1954.