Georg Kolbe
Kleine Amazone
1912/1920 / Guss 1921/1922
Bronze
38,2 cm
Signiert mit dem Monogramm auf der Drapierung hinten und mit dem Gießerstempel "H. Noack Berlin Friedenau" versehen auf der Plinthe
Auflage Guss 1921/1922, mindestens 10 Güsse
Nach dem Ersten Weltkrieg überarbeitete Kolbe das Gipsmodell der "Amazone" von 1912, deren zarte Oberfläche gestrafft und deren Plinthe eine kantigere Form erhielt.
Werkkatalog Kolbe-Museum/Berger 1990 Nr. 20
Privatsammlung Frankfurt
- Galerie Ludorff, Neuerwerbungen Herbst 2024, Düsseldorf 2024
- Ursel Berger, "Georg Kolbe – Leben und Werk mit dem Katalog der Kolbe-Plastiken im Georg-Kolbe-Museum Berlin", Berlin 1990, Nr. 20
- Ursel Berger, "Georg Kolbe – Das plastische Werk", in: Weltkunst, 1985, Abb. 2 (anderes Exemplar)
- Philipps-Universität Marburg, "Georg Kolbe – 100 Lichtdrucktafeln", Marburg 1931, Nr. 10b (anderes Exemplar)
Der Bildhauer Georg Kolbe konzentriert sich in seinem plastischen Werk auf ein Hauptthema: die menschliche Gestalt. Dabei geht es ihm nicht um eine naturalistische Schilderung, sondern um den Ausdruck des eigenständigen, freien, selbstbestimmten Menschen und die Überwindung banaler, tradierter und damit inhaltlich festgelegter Bewegungsmotive. Von wenigen Beispielen abgesehen stellt Kolbe bis Mitte der 1920er Jahre Frauengestalten dar, die sich mit Grazie, Leichtigkeit und leiser Melancholie im Raum bewegen und mit denen der Bildhauer seine Vision vom harmonisch bewegten Menschen zum Ausdruck bringt. Unsere Figur »Kleine Amazone« ist für diese bedeutende Werkphase ein charakteristisches Beispiel.
Laut der Kolbe-Expertin Ursel Berger erinnere die »Kleine Amazone« in Stil und Ausdruck an die weiblichen Figuren aus den Gruppen »Liebeskampf« und »Frauenraub«. Alle drei Plastiken verbindet die Darstellung junger Frauen, deren Haltung und Rolle zum Entstehungszeitpunkt provokant gewirkt haben müsse.1 Im Gegensatz zu den Vergleichskunstwerken überwiegt bei der »Kleinen Amazone« die Alleinstellung des tänzerischen Elements. Kolbe modelliert die Aktfigur im Moment vor einer Drehung. In der Körperhaltung deutet sich die Rotation bereits an: Den linken Fuß leicht nach außen und den von beiden Armen umrahmten Kopf nach links hinten drehend, setzt die Tänzerin den Impuls zu ihrem nächsten Schritt.
Kolbe setzt mit dieser Beinahe-Bewegung einen raffinierten Akzent. Zum einen betont er den geschmeidig und sinnlich wirkenden Körper der Frau, was die Ausdrucksweise des Tanzes verrät. Zum anderen vermittelt er künstlerisch den Aspekt der Zeitlichkeit, festgehalten in einem statischen, einem ewigen Moment. Während die Tanzende ihre Pose für immer hält, setzten die Betrachtenden ihre Choreografie vor dem geistigen Auge fort. Tatsächliches und Vorstellbares verschmelzen so zur Form. Was nachklingt, sind die innere Bewegtheit der Tänzerin, ihrer Darbietung und der Rezipienten.
Kaum einem Künstler ist bei seiner Arbeit die Vermittlung von innerer und äußerer Haltung so wichtig wie Kolbe. Die Form ist ihm kein Selbstzweck, sondern ein Mittel und es ist ein Hauptcharakteristikum seiner Figuren, dass sich der Inhalt nicht in einfache Worte fassen lässt. Der Kunsthistoriker Wilhelm Pinder kommentiert: »Kolbes Gestalten erzählen wenig, aber sagen viel.«2 Geistiges und Seelisches – Begriffe, die in der Kunst, Literatur und Philosophie eine große Rolle spielen – sahen die Zeitgenossen in diesen Kunstwerken ausgedrückt. »Seele« vermittelt sich bei den Figuren vor allem durch den Gefühlsausdruck, was der Künstler anschaulich beschreibt: »In der Kunst gibt es nichts auszuklügeln, der Verstand kommt erst in zweiter Linie – die
Empfindung ist alles.«3
1 Vgl. Ursel Berger, »Georg Kolbe – Leben und Werk mit dem Katalog der Kolbe-Plastiken im Georg-Kolbe-Museum Berlin«, Berlin 1990, S. 218.
2 Zit. nach: Ursel Berger (Hg.), »Georg Kolbe 1877-1947«, Ausst-Kat. Georg-Kolbe-Museum, Berlin 1997, S. 28.
3 Brief vom 15. Juni 1912, zit. nach: ebd., S. 28.