Georg Tappert
Sonnenblumen in Vase
ca. 1912

Öl auf Leinwand
70 × 53 cm
Signiert
Das Bild wird in den Nachtrag des Werkverzeichnisses aufgenommen.
Prof. Dr. Gerhard Wietek, Hamburg
Dr. Otto Binswanger, Kreuzlingen (seit 1926), seitdem in Familienbesitz
- Galerie Ludorff, "Meisterwerke", Düsseldorf 2020
- Galerie Ludorff, "40 Jahre 40 Meisterwerke", Düsseldorf 2015
- Galerie Ludorff, "Meisterwerke des Expressionismus", Düsseldorf 2011/2012
- Galerie Ludorff, "Meisterwerke", Düsseldorf 2020, S. 112

Rahmenfoto
Das Gemälde stammt aus einer Zeit, als Georg Tappert in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg den ersten Höhepunkt seiner Malerkarriere erlebte. Er war Anfang des Jahres 1910 nach Berlin gezogen und hatte sich dem Kreis der expressionistischen Avantgarde angeschlossen. Noch im gleichen Jahr gründete er gemeinsam mit Max Pechstein und anderen die Neue Secession, die zu einem Sammelbecken der avantgardistischen Kunst in Deutschland wurde. Tappert fügte sich in diese Avantgarde mit einer besonders kraftvollen, plastischen Pinselschrift und tief leuchtenden Farben ein.
Die Sonnenblumen in Vase bestechen durch ihr strahlendes Gelb vor dem kontrastierenden türkisgrünen Hintergrund und durch die lebhaften Pinselstriche, mit denen der Maler ihren Köpfen ein eigensinniges, beinahe widerspenstiges Leben verleiht. Zu deren zentrifugal wirkender Energie bildet die dunkle Tischplatte mit der schlichten Vase im unteren Bereich ein stabiles Fundament. Meisterhaft wird die Dunkelheit im aufsteigenden Schaft der Vase aufgehellt und mit den dunkelgrünen Blättern im Hintergrund der Blüten noch einmal aufgenommen. In den lebhaft in alle Richtungen blickenden ›Augen‹ der Blütenscheiben kehrt sie verwandelt wieder. Charakteristisch für Georg Tappert ist die eigene Wertigkeit des Pinselstrichs, mit der er den Formen eine von der mimetischen Wiedergabe gelöste Plastizität verleiht. Das Gelb ist nicht einfach farbige Fläche, sondern erhält Fülle und Tiefe durch die bewegten Striche in unterschiedlicher Farbnuance, Richtung und Dichte. Darin nehmen die Blütenscheiben eine treibende Kreisbewegung an. Gegen die Blüten tritt der flächig vermalte Hintergrund auch in der Malweise entschieden zurück, während die Vase wiederum eine Vermittlerrolle übernimmt.
Tappert ist vor allem als Figurenmaler der Berliner Varietéwelt vor dem Ersten Weltkrieg und Porträtist des Halbweltmilieus der 1920er Jahre bekannt, malte aber über seine ganze Schaffenszeit auch immer wieder Blumenstillleben. Besonders in der frühen Zeit von 1907 bis 1909 in Worpswede entstanden viele Stillleben. Oft sind sie sehr vereinfacht und kompakt in den Formen, andere sind deutlich von der floralen Ornamentik des Jugendstils geprägt. Die stilisierende Lineatur des Jugendstils verwandelte Tappert in den Sonnenblumen in den pastosen, expressiven Eigenwert des Pinselstrichs.
In Worpswede war Tappert u. a. mit Paula Modersohn-Becker gut bekannt. Über sie, die mehrfach in Paris gewesen war, nahm er vermutlich prägende Hinweise aus der französischen Moderne auf. Originale sah er wohl schon vorher und später in Berlin. Die Darstellung der Sonnenblumen lässt an Werke von Vincent van Gogh denken, der bereits länger in Deutschland bekannt war. 1912, in dem Jahr, um welches Gerhard Wietek, der Verfasser der Werkverzeichnisse, das Gemälde datierte, fand in Köln die legendäre Sonderbund-Ausstellung statt, wo Tappert mit vier Gemälden vertreten war. Van Gogh wurde dort umfangreich gewürdigt, dabei ein Exemplar seiner Sonnenblumen-Serie aus Arles. Es ist also durchaus denkbar, dass Tappert von van Gogh einen Anstoß für sein eigenes Gemälde nahm, das er aber ganz aus eigener Anschauung und mit persönlichem Ausdruck umsetzte.
Gesa Bartholomeyczik
Kunsthistorikerin, Meckenheim