Hans Purrmann
Blick über Florenz
1935
Öl auf Leinwand
73 × 99,5 cm
Signiert
Werkverzeichnis Lenz/Billeter 2004 Nr. 1935/04
Atelier des Künstlers; Rudolf Kellermann, Homberg/Ohm (1960); Privatsammlung Nordrhein-Westfalen; Privatsammlung Österreich
- Galerie Ludorff, "Meisterwerke", Düsseldorf 2020
- Kunstverein Hannover, "Der Maler Hans Purrmann. Ölgemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Graphik von 1898–1960", Hannover 1960
- Galerie Ludorff, "Meisterwerke", Düsseldorf 2020, S. 118
- Christian Lenz/Felix Billeter, "Hans Purrmann. Die Gemälde 1935-1966. Werkverzeichnis", Bd. II, München 2004, Nr. 1935/04
- Kunstverein Hannover, "Der Maler Hans Purrmann. Ölgemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Graphik von 1898-1960", Hannover 1960, Kat.-Nr. 74
Spaziert man in Florenz von der historischen Altstadt über den Arno, am Palazzo Pitti vorbei in Richtung der Porta Romana, dann die Via Senese hinauf bis zur Villa Romana, dann kann man von hier aus, auch heute noch, den traumhaften Blick zurück auf die Türme und Kirchenkuppeln von Santa Maria Novella, San Lorenzo, dem berühmten Dom mit seinem Campanile oder dem Palazzo Vecchio genießen, wie ihn Hans Purrmann in den dreißiger Jahren gemalt hatte.
Purrmann übernahm im Sommer 1935 die Leitung des Künstlerhauses der Villa Romana und zog sich auf diese Weise aus der politischen ›Schusslinie‹, in die er in Berlin geraten war. Er gehörte 1932 zu den ersten Künstlern, die von den Nationalsozialisten in Schand-Ausstellungen angeprangert wurden; der elende Streit um sein Triptychon Allegorie der Kunst und Wissenschaft für den Kreistagssaal in Speyer hinterließ beim Künstler ein tiefes Trauma, das ihn auch nach 1945 nicht mehr nach Deutschland zurückkehren ließ. Purrmann galt als ›Französling‹ und als Protégé der jüdischen Kunsthändler Paul Cassirer und Alfred Flechtheim. Der ›Schule von Paris‹ verdankte er seine helle bunte Palette und auch sein fundiertes Kunstverständnis, zählte er doch vor dem Ersten Weltkrieg zu den engen Freunden und Schülern von Henri Matisse.
Das deutsche Künstlerhaus an der Via Senese wurde 1905 von Max Klinger (1857 – 1920) eingerichtet und existiert – mit einigen Unterbrechungen nach dem Zweiten Weltkrieg – in dieser Funktion bis heute, berühmte Maler wie Georg Baselitz oder Markus Lüpertz zählen zu den ehemaligen Stipendiaten. Klinger wollte damit, aufgrund eigener trauriger Erfahrungen während seines Florenzaufenthalts um 1889, jüngeren Kollegen bessere Bedingungen ermöglichen. Sie sollten in der berühmten Renaissancestadt angemessen leben und in Ruhe große Kunst – Werke von Masaccio, Donatello, Michelangelo u.a. – studieren können. Ob die vielen Künstler, die seitdem hier gewirkt haben, wirklich die Auseinandersetzung mit der Renaissance gesucht haben, sei dahingestellt – man muss nicht gleich, wie Max Beckmann, einem der ersten Stipendiaten, in seinem Selbstbildnis von 1907 (Hamburg), der Arnostadt den Rücken zuwenden.
Auch Purrmann war zurückhaltend: Obwohl er über acht Jahre lang in Florenz lebte und dort hunderte von Gemälden und Aquarellen mit toskanischen Motiven schuf, gibt es merkwürdigerweise von ihm kein einziges Bild von den kunsthistorischen Sehenswürdigkeiten der Stadt. In den Jahren zuvor malte er das Forum Romanum in Rom, die Palazzi an den Kanälen von Venedig und noch 1933 in Trento oftmals Kirchenfassaden und Brunnen. Die Florentiner Altstadt schien er nach 1935 nie als Künstler betreten zu haben, er wollte wohl unauffällig bleiben.
Purrmanns Panaromablick von der Terrasse auf der Gartenseite der Villa zeigt eine atemberaubend schöne und über die Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft, in die sogar noch neuestes Bauen mit den großzügigen Balkonen und Markisen einbezogen ist. Kunst und Natur sind in einer Malerei aus Ziegelrot und Grüntönen ineinander verschränkt; in nuce findet man seine Idee in der Bildmitte, gleich rechts von der imposanten Domkuppel steht auf einem Hügel, ganz frei, eine gewaltige Pinie. Extra muros gelegen, spendeten die Villa Romana und ihre Aussicht dem nach 1937 als »entartet« diffamierten Künstler und den um ihn gebildeten Kreis von Exilanten Schönheit in hässlichen Zeiten.
Felix Billeter
Leiter des Hans Purrmann Archivs