Lesser Ury
Nächtliche Straßenszene Berlin - Leipziger Straße
ca. 1915-20
Öl auf Leinwand
51,2 × 36,2 cm
Signiert
Aufgenommen in das in Vorbereitung befindliche Werkverzeichnis der Gemälde, Pastelle, Gouachen und Aquarelle von Dr. Sibylle Groß, Berlin
Gutachten von Frau Dr. Sibylle Groß, Berlin
Atelier des Künstlers; Sammlung Karl Rudolf Sandmann, Berlin; seither durch Erbschaft in Heidelberger Familienbesitz
- Galerie Ludorff, "Meisterwerke", Düsseldorf 2020
- Liebermann-Villa am Wannsee, "Max Liebermann und Lesser Ury - Zweimal Großstadt Berlin", Berlin 2019
- Galerie Ludorff, "Meisterwerke", Düsseldorf 2020, S. 74
- Daniel Spanke (Hg.), "Max Liebermann und Lesser Ury - Zweimal Großstadt Berlin", Ausst.-Kat. Liebermann-Villa am Wannsee, Berlin 2019, S. 46
Nach seinem Studium der Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf sowie einiger Aufenthalte im Ausland, in Paris und Brüssel, kehrte Lesser Ury 1887 nach Berlin zurück, wo er eine Großstadt im Wandel vorfand. Zu den Kutschen gesellten sich die ersten Automobile und Straßenbahnen, und die Straßen wurden nun auch des Nachts von den Lichtern der Gaslaternen beleuchtet.
Von den neuen Eindrücken beeindruckt entstehen seine Impressionen einer Großstadt, die bei dem Betrachter, besonders mit dem Abstand eines Jahrhunderts, unweigerlich eine gewisse Sehnsucht hervorrufen. Ob am Tag, bei untergehender Sonne, Mondschein oder den künstlichen Lichtern der nächtlichen Straßen, Lesser Ury faszinierten die Lichteindrücke seiner Umgebung sichtlich.
Es ist erstaunlich, wie es der Maler schafft in dem Sujet einer verregneten Straße einer Großstadt bei Nacht das Gefühl von Wärme und Behaglichkeit im Betrachter auszulösen. Trotz der Geradlinigkeit der Straßenflucht, welche durch die Schienen der Straßenbahn auf dem Boden noch verstärkt wird, gesäumt von einer Häuserreihe auf beiden Straßenseiten, entsteht ein bewegtes Motiv. Dies wird zum einen durch die meist in dunkle Mäntel gehüllten, halb unter schwarzen Regenschirmen versteckten, umhergehenden Menschen erreicht. Und zum anderen durch das Wechselspiel der gedeckten, dunklen Farbtöne mit dem hellen, warmen Licht und dessen Spiegelung, wodurch das gesamte Geschehen miteinander verbunden wird. Das Licht der scheinbar hoch über der Straße schwebenden Laternen und der Schaufenster wird auf der regennassen Straße gespiegelt und verleiht ihr so einen goldenen Glanz. So fasst Karl Schwarz treffend zusammen: »Das Aufreizende (…) des mondänen Lebens einer Großstadt in seiner kaleidoskopartigen Bewegung hat keiner vor oder nach Ury so eindringlich und in immer neuen Variationen wiedergegeben. Es sind keine Szenenschilderungen, sondern optische Erlebnisse, die er mit unerhörter Sensitivität empfindet.«A
Der Künstler schafft es, diese subjektiven Empfindungen auf den Betrachter zu übertragen, so dass dieser sich als Beteiligter der Szenerie wiederfindet mit einem genauen Gefühl für die Stimmung des Moments. Die Modernität der Stadt sowie die Aufbruchsstimmung einer Gesellschaft, die beeinflusst wird vom rasanten technischen und kulturellen Fortschritt, versucht Ury in stimmungsvollen Gemälden wiederzugeben. Seine Eindrücke sind die Grundlage für diese Bilder, in denen man sich leicht verlieren und dem Moment hingeben kann.
Justin Kückemanns
Galerie Ludorff
A Karl Schwarz, »Lesser Ury. Ein Essay«, in: Hermann A. Schlögl / Karl Schwarz, »Lesser Ury. Zauber des Lichts«, Berlin 1995, S. 73 – 89, hier S. 78.