Hermann Max Pechstein
Herbstschatten
1921
Öl auf Leinwand
100 × 81 cm
Signiert sowie rückseitig nochmals signiert, datiert und betitelt
Eintrag im Werkstattbuch für das Jahr 1921: 9. Herbstschatten
Werkverzeichnis Soika 2011 Nr. 1921/29
Prof. Dr. Aya Soika, Berlin
Atelier des Künstlers; Rosette und Dr. Heinrich Strauss, Jerusalem; Privatsammlung USA (erworben von Sammlung Strauss); seitdem in Familienbesitz
- Galerie Ludorff, Neuerwerbungen Frühjahr 2022, Düsseldorf 2022
- Galerie Ludorff, "Neuerwerbungen Frühjahr 2022", Düsseldorf 2022, S. 127
- Aya Soika, "Max Pechstein, Das Werkverzeichnis der Ölgemälde, 1919-1954, Bd. II", München 2011, Nr. 1921/29
Das wundervolle Gemälde „Herbstschatten“ von Hermann Max Pechstein versetzt die Betrachter*innen in Bewegung. Die Augen werden herausgefordert dem Licht- und Schattenspiel zu folgen, das rhythmisch über das Bild tanzt. Die Rosa-Violett-Töne des Weges im Zentrum schwingen mit den Grüntönen der Bäume, die diesen einrahmen, um die Wette. Der Rhythmus von Dunkel und Hell, Licht und Schatten wiederholt sich auf dem Weg und bei den Bäumen. Violette Stämme greifen die Farbigkeit des Zentrums auf und schaffen so eine spannungsvolle Verbindung von Weg und Wald. Das Auge scheint förmlich über die Schatten der Baumstämme auf dem Pfad hinweg in die Tiefe des Bildes zu springen. Es macht Spaß das Gemälde so zu erkunden und den Eindrücken des Künstlers und seiner Interpretation des Gesehenen nachzuspüren.
Pechstein, der als einziges Mitglied der Künstlervereinigung „Die Brücke“ in Paris war und als erster der Gruppe nach Berlin zog, galt als deren erfolgreichster Vertreter, was ihm den Neid der anderen Mitglieder einbrachte und letztlich zur Trennung führte. Er unternahm Forschungs- und Malreisen nach Rom, lebte in Monterosso al Mare und verbrachte vier Monate auf Palau in der Südsee 1). Zu seinen Vorbildern zählen unverkennbar Henri Matisse und Paul Gauguin. Entstanden ist „Herbstschatten“ aus der Erinnerung an den letzten Sommer 2) in Pechsteins Malparadies Nidden (heute Nida) auf der Kurischen Nehrung. Dort fand er ab 1909 das einfache Leben und die Ursprünglichkeit nach der er sich so sehnte. Nidden war sein kreativer Zufluchtsort. Die direkte Auseinandersetzung mit der wilden Natur entfachte seine Inspiration und resultierte in farbgewaltigen Bildern, die ganz in expressionistischer Manier Pechsteins innere Sicht der Dinge und seine Empfindungen beim Betrachten der Motive wiedergeben.
Das Waldweg-Motiv im Hochformat und auch die Verwendung der Farbe Violett ist für die Zeit um 1920 typisch, wie Aya Soika in dem das Werk begleitenden Gutachten feststellt und was auch ein Blick in das von ihr publizierte Werkverzeichnis der Gemälde belegt. Dort wird jedoch noch Leba an der pommerschen Ostseeküste als Entstehungsort genannt. Pechstein hält sich dort ab Spätsommer 1921 das erste Mal auf. Der Ort wird fortan seine zweite Heimat. Ein Blick in die Unterlagen des Künstlers zeigt jedoch, dass er das Gemälde „Herbstschatten“ nicht dort, sondern wahrscheinlich schon im späten Frühling des Jahres gemalt hat und sich also noch auf den Aufenthalt auf der Kurischen Nehrung bezieht 3). Die große Ähnlichkeit des Motivs mit der Fotografie, die den Nehrungswald darstellt, der den Ort Nidden von der Ostsee trennt, validiert diese Datierung ebenfalls. „Herbstschatten“ ist somit eine ausdrucksstarke Erinnerung an das erste Malparadies des Künstlers, wo er nach dem Ersten Weltkrieg seine Malfreude und Schaffenskraft wiedergewinnt. „Herbstschatten“ fordert die Betrachter*innen heraus die Welt mit anderen Augen zu sehen und ständig neu zu entdecken.
1) Ursprünglich waren zwei Jahre geplant. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zwang Pechstein jedoch zu einer verfrühten Rückkehr. Er konnte von der Reise lediglich ein Gemälde zurück nach Europa bringen, griff das Thema und die Motive aus seinen Skizzenbüchern aber nach Ende des Kriegs immer wieder auf.
2) Erst 1939 sollte er noch einmal dorthin zurückkehren.
3) Pechstein hat dort „Herbstschatten“ als Nummer 9 direkt im Anschluss an Werke aufgelistet, die er im April in Ausstellungen gezeigt hat, weshalb Soika von einer Entstehung im April/Mai ausgeht, vgl. Gutachten von Aya Soika vom 6. August 2021.