Otto Piene
Yellow Diary 3
1995/96
Öl, Feuer und Ruß auf Leinwand
100 × 130 cm
Rückseitig signiert, datiert und betitelt sowie auf dem Keilrahmen nochmals signiert, datiert und betitelt
Atelier des Künstlers; Privatsammlung Nordrhein-Westfalen (1996/97 direkt vom Künstler erworben)
- Galerie Ludorff, "Meisterwerke", Düsseldorf 2020
- Galerie Heimeshoff, "Otto Piene. Ölbilder und Gouachen 1962 bis heute", Essen 1995
- Galerie Ludorff, "Meisterwerke", Düsseldorf 2020, S. 150
»Was ist das alles, Bild, Farbe, Licht, Vibration, reine Energie? Leben. Leben in Freiheit.«A
Dieses Zitat, wohl möglich auch eine Reminiszenz seitens des Künstlers an die von Dunkelheit geprägten Zeiten seines Lebens – seine Jahre in Kriegsgefangenschaft oder die Stunden in von Bomben erschütterten Luftschutzbunkern, abgedunkelt, um den Angriffen kein leuchtendes Ziel zu bieten – führt uns unweigerlich zum omnipräsenten Thema in Otto Pienes Arbeiten: Licht. Das Sujet »Licht«, für Piene Sinnbild der Freiheit, ist in unzähligen der von ihm gewählten Ausdrucksformen spürbar. Auf die positive Konnotation dieses Motivs wird von dem Künstler in Interviews mehrfach verwiesen. So verwandelt er selbst schlechte Erinnerungen an Licht, beispielsweise an die Scheinwerfer und Lichtorgeln am Himmel, denen er als jugendlicher Flakhelfer ausgesetzt war, in kunstvoll inszenierte Lichtballette und vollzieht somit eine inhaltliche Neubewertung. Seine intensive Auseinandersetzung mit diesem Sujet, aber ebenso mit anderen physikalischen Phänomenen wie Rauch, Flammen, Raum und Bewegung, ist in den Feuerbildern ab den 1960er Jahren klar ablesbar. Während in seinen bereits 1957 entwickelten Rauchzeichnungen noch mittels eines gezielten Leitens von Rauch durch Löcher in der Malfläche verschiedene Licht- und Schattenwerte erzeugt werden, geht Piene in seinen Feuerbildern noch einen Schritt weiter: Hier negiert er beinahe vollständig seine persönliche Handschrift als Künstler, indem er die Werke der unberechenbaren, unkontrollierbaren Energie der Flammen aussetzt. Durch die Hitze des Feuers, das Piene auf den Leinwänden entzündet, entstehen in der abbrennenden Farbschicht der Bilder organische Formen, Ausbrennungen, Ringe, Krusten und Blasen, die assoziativ als Blumen, Pflanzen, Fische oder Muscheln lesbar sind. Da der Künstler an den größeren Leinwänden im Freien arbeitet, verbindet sich in einigen Fällen auch Heu oder Sand mit der Maloberfläche, sodass die Natur auf einem weiteren, noch direkteren Wege in Pienes Arbeiten präsent wird. Obwohl das Feuer jeweils nur wenige Sekunden lang brennt, entscheidet sich in dieser kurzen Zeitspanne, ob ein neues Meisterwerk entsteht oder das Bild unwiderruflich durch die Flammen zerstört wird. Das Abbrennen der Farbe versteht Piene hierbei als einen Prozess, um Neues zu schaffen, also als einen positiven, energiegeladenen, ja sogar evolutiven Vorgang. Diese optimistische Lebenshaltung kommt auch in der 1957 von Otto Piene und Heinz Mack gegründeten ZEROGruppe zum Ausdruck: Sie richtet sich mit ihren reinen Farben und ihrer Bejahung der Zukunft gegen den in den 1950ern vorherrschenden Tachismus und das Informel, die für Piene mittels ihrer düsteren Farbspektren eine Rückgewandtheit und Beschäftigung mit dem Schrecken des Zweiten Weltkrieges ausdrücken. Auch das vorliegende Gemälde Yellow Diary 3 ist von der transformierenden, schöpferischen Energie des Feuers erfüllt und ermöglicht dem Betrachter eine Art Symbiose mit der Natur einzugehen. Als wahres Meisterwerk gekennzeichnet wird diese Arbeit für mich durch sein meisterhaft ausgewähltes Kolorit: Das für den Hintergrund verwendete satte, leuchtende Gelb – als Farbe der Inbegriff des Lichts – ruft unweigerlich kraftvolle und positive Assoziationen an die Wärme und Sonnenstrahlen eines Sommertages hervor, während das intensive, durch Feuer aufgetragene Orange darüber wie eine wahre Farbbombe – ähnlich der Explosion einer Supernova – an die kinetische Energie und das unermüdliche, unverzichtbare Schöpfertum der Sonne selbst erinnert.
Sarah Maria Mans
Galerie Ludorff
A Otto Piene, »Was ist ein Bild?«, in: »Vision in Motion – Motion in Vision«, Ausst.-Kat., Hessenhuis, Antwerpen 1959, wiederabgedruckt in: Ante Glibota (Hg.), »Otto Piene, Delight Edition«, Paris 2011, S. 109.